Nachrichten Februar 2014
EUROPA: Osteuropäische „Gastarbeiterflut’’ ist Rinnsal
Den Haag. MATZ/WRR/SCP/CBS/NOS/NRC/TR/VK. 24. Februar 2014
Während am Mittelmeer immer mehr illegale Einwanderer versuchen, in die ‚Festung Europa‘ hineinzukommen, sorgen sich die Niederlande und Deutschland derzeit um legale intra-europäische Zuwanderer. Denn seit Jahresbeginn 2014 haben Rumänen und Bulgaren dank der europäischen Arbeitnehmerfreizügigkeit uneingeschränkten Zugang zum EU-Arbeitsmarkt. Dieser Ausblick rief schon im Vorfeld Ängste in der Bevölkerung wach. Wie sieht diese Debatte zwei Monate nach der Grenzöffnung aus?
Bereits Mitte des Jahres 2013 äußerte der niederländische Sozial- und Arbeitsminister Lodewijk Asscher (PvdA) öffentlich die Sorge, dass ab Januar 2014 Flutwellen von Rumänen oder Bulgaren, ganz gleich welchen Bildungsstands, zum Arbeiten in die Niederlande kommen könnten (NiederlandeNet berichtete). Anfang dieses Jahres warnte Sozialdemokrat Asscher erneut vor einer Gastarbeiterflut aus Osteuropa. Dieses Mal stimmte auch Rechtspopulist Geert Wilders (PVV) mit ein. Nach zwei Monaten mit geöffneten Grenzen wird die Zuwanderung inzwischen jedoch differenzierter betrachtet.
Sozialbetrug, Konkurrenz, Lohndumping, Kriminalität
Seit dem 01. Januar 2007 sind Rumänien und Bulgarien Mitglieder der EU. Seitdem gewährleistet die Arbeitnehmerfreizügigkeit den neuen Unionsbürgern die freie Wahl ihres Arbeitsplatzes im EU-Raum. Für manchen Rumänen oder Bulgaren bedeutete diese Freiheit eine Chance, den oft schlechten Arbeitsbedingungen oder der persönlichen Perspektivlosigkeit seines Heimatlandes zumindest eine Zeit lang zu entfliehen. So arbeiten heute etwa 30 Prozent der erwerbstätigen Bevölkerung der beiden Länder im europäischen Ausland, insbesondere in Südeuropa.
Nach sieben Jahren Vorbereitungsfrist mussten nun auch die Niederlande (und Deutschland) ihren Arbeitsmarkt zum 01. Januar 2014 vollständig öffnen, was bis heute latente Ängste in der Bevölkerung schürt. Umfragen des Sociaal en Cultureel Planbureau (SCP) zufolge stehen rund 60 Prozent der Niederländer osteuropäischen bzw. bulgarischen und rumänischen Einwanderern skeptisch bis sehr skeptisch gegenüber. Sie sorgen sich vor allem um möglichen Sozialbetrug, den Verlust von Arbeitsplätzen für Inländer und Wettbewerbsverzerrung durch Niedriglohnarbeit. Doch auch die laut SCP unreflektierte Angst vor Unruhe auf der Straße und der den neuen Gastarbeitern zugeschriebenen Kriminalität spielen eine Rolle.
Hauptgrund für diese, laut SCP vor allem in unteren Bildungsschichten vorherrschende, Skepsis sei die Nachwirkung der Erfahrungen, die man in den Niederlanden in den 60er und 70er Jahren gemacht habe, als türkische und marokkanische Gastarbeiter ins Land gekommen sind. Integrationsversäumnisse und eine fehlende Willkommenskultur sorgten damals dafür, dass die Immigranten weitgehend außerhalb der Gesellschaft standen. Dadurch haben sie ihren niederländischen Gastgebern letztlich mehr Kosten und Schwierigkeiten bereitet, als dass sie ihnen eine Bereicherung bedeuten konnten.
Damit sich dieses im öffentlichen Diskurs von allen politischen Lagern vorgebrachte „Drama der Gastarbeitergeschichte“ mit den rumänischen und bulgarischen Einwanderungen nicht wiederholt, suchen Politik und Wissenschaft dringend nach mit dem EU-Recht konformen Lösungsansätzen. Um einerseits vor allem im technischen Bereich dringend benötigte hochqualifizierte Fachkräfte in die Niederlande zu ziehen, andererseits aber schlecht ausgebildeten Glückssuchern die Immigrationsanreize zu nehmen.
Bisher trägt, statistisch betrachtet, jeder osteuropäische Gastarbeiter jährlich etwa 1.800 Euro zum niederländischen Staatshaushalt bei. Die meisten gehen einer geregelten Arbeit nach, zahlen Steuern und nehmen äußerst selten Sozialhilfe in Anspruch. Zugleich wohnen und arbeiten derzeit aber vor allem Bulgaren in vergleichsweise miserablen Verhältnissen, während ihr Einkommen das in ihrer Heimat weit übersteigt. Hinzu kommt, dass ihre gesellschaftliche Marginalisierung auf lange Sicht problematisch zu werden droht; Vor allem die Städte, allen voran Rotterdam, kämpfen bereits seit Langem mit der Ghettoisierung früherer Einwanderergruppen. Zugunsten beider Seiten, der Inländer und der Gastarbeiter, sollen daher solche Missstände beseitigt werden.
„Bulgarische Flutwelle ist nur ein Rinnsal“
Eine Analyse mit Lösungsvorschlägen – die von den Medien überraschend wenig Beachtung erfuhr – publizierte der Wetenschappelijk Raad voor het Regeringsbeleid (WRR) Ende Januar. Die Institution konstatierte, dass die Verdrängung niederländischer Arbeitnehmer durch untertariflich bezahlte Arbeitsmigranten von der Bevölkerung als größtes Problem erfahren würde, auch wenn wissenschaftliche Studien einen Verdrängungseffekt durch Arbeitsmigranten so nicht bestätigen könnten. Dennoch bleibe es eine Tatsache, dass viele osteuropäische Arbeitnehmer als billigere Arbeitskräfte in den Niederlanden eingesetzt würden. Um dies zu ändern, solle die Politik bei den niederländischen Arbeitgebern, die bewusst gegen die Tarifabsprachen verstießen, ansetzen, so der WRR. „Die niederländische Regierung hat die Instrumente in den Händen, das Gesetz durchzusetzen, und damit die Nachfrage nach billigen Arbeitskräften zu senken (und Ausbeutung von Arbeitsmigranten zu verhindern).“
Auch die soziale Integration der Arbeitsmigranten in die Kommunen müsse durch den niederländischen Staat (finanziell) unterstützt werden, heißt es im Policy-Brief des WRR. Günstigere Sozialabgaben für Arbeitnehmer in Osteuropa müssten zudem per Brüsseler Beschluss auf ein westeuropäisches Niveau angehoben werden. Arbeitsminister Asscher sieht in letztem Punkt das grundlegende Problem der Arbeitnehmerfreizügigkeit: Ob Gastarbeiterflut oder nicht, solange die soziale Absicherung in Ländern wie Bulgarien so weit hinter der der anderen EU-Ländern zurückbleibe, werde es auch Arbeitsmigration und nationale Ängste vor dieser geben.
Bisher bleiben die Ängste mancher Niederländer jedoch unbestätigt: „Bulgarische Flutwelle ist nur ein Rinnsal“, stellte die niederländische Tageszeitung Trouw Anfang Februar fest. Nur einige hundert Bulgaren und Rumänen hätten sich seit dem 1. Januar 2014 in den Niederlanden als temporäre Arbeitnehmer registriert.