Nachrichten Dezember 2014
POLITIK: Niederländisches Kabinett durchlebt "Weihnachtskrise"
Den Haag. AF/Elsevier/NRC/RTL Nieuws. 20. Dezember 2014.
Diese Woche stand in den Niederlanden ganz im Zeichen einer drohenden Kabinettskrise. Denn drei sozialdemokratische Senatoren der Ersten Kammer hatten am Dienstag gegen einen Gesetzesvorschlag von Gesundheitsministerin Edith Schippers (VVD) gestimmt, der damit abgelehnt wurde. Die Regierungspartner - sozialdemokratische PvdA und liberale VVD - fanden erst nach stundenlangen nächtlichen Debatten eine Lösung.
Erst am Freitagmorgen kam die Meldung, die Regierungskoalition habe die "Weihnachtskrise" überlebt. Auf der Pressekonferenz am Nachmittag erklärte Premier Mark Rutte (VVD) dann, die Koalition sei nie ernsthaft in Gefahr gewesen. Das gegenseitige Vertrauen habe durch die Krise sogar zugenommen. Im seriösen NRC Handelsblad hingegen war zu lesen, das Kabinett Rutte-II sei seinem vorzeitigen Ende gerade noch einmal entgangen. Was also war passiert?
Ablehnung von Schippers zorgwet
Die Erste Kammer in den Niederlanden stimmte Anfang dieser Woche gegen einen Gesetzesvorschlag, der die freie Arztwahl des Patienten einschränkt. Problematisch hieran war, dass die Reformgegner nur knapp die Mehrheit errangen: Von 75 Senatoren waren 71 zugegen, 38 von ihnen stimmen gegen das neue Gesetz, 33 stimmten dafür. Besonders brisant: Drei der Gegenstimmen stammten von Mitgliedern der sozialdemokratischen PvdA. Sie befürchteten, dass die Krankenkassen, die laut Reform künftig einen Arzt für den Patienten aussuchen sollen, durch die Neuerung "noch mehr Macht bekommen".
Bereits jetzt geben die Krankenkassen ihren Kunden, die über eine sogenannte naturapolis krankenversichert sind, vor, welchen Arzt der Patient aufsuchen muss. Dennoch ist es bisher möglich, einen anderen Arzt aufzusuchen. Die Krankenkasse ist auch in solch einem Fall verpflichtet, einen großen Teil der Behandlungskosten (ca. 70-80 Prozent) zu übernehmen. Diese Pflicht wollte Ministerin Schippers nun abschaffen. Die Ministerin erhofft sich, hierdurch Kosten einzusparen und die Qualität der Gesundheitsversorgung zu erhöhen.
Drei Tage lang Krisengespräche
Direkt nach der Abstimmung in der Ersten Kammer trafen sich die Koalitionsspitzen für ein erstes Krisengespräch im "torentje", dem Arbeitsraum des Premiers. Laut RTL Nieuws verlangte die VVD-Führung vom Koalitionspartner, das Problem "intern" zu lösen. Versuche, der PvdA-Spitze, einen "Deal" mit den drei Senatoren, die gegen das Gesetz gestimmt hatten, zu schließen, scheiterten jedoch. Nach langen Gesprächen am Mittwoch zeigten sich die drei "Dissidenten" zwar zufrieden über die Änderungen, die Ministerin Schippers zu machen bereit war. Doch eine Garantie, dass sie einer geänderten Reform zustimmen würden, wollten sie nicht geben.
Es folgten mehrere Spitzengespräche der Regierungsparteien untereinander und mit den "befreundeten" Oppositionsparteien D66, ChristenUnie und SGP sowie weitere Gespräche mit den drei PvdA-Senatoren. Das Ganze geschah unter einem gewissen Zeitdruck: Donnerstag war der letzte Tag vor der Weihnachtspause des Parlaments. Kurz nach acht Uhr abends erfolgte dann die Meldung, das Kabinett habe eine Übereinkunft erreicht, man werde einen veränderte Gesetzesvorschlag einbringen. Die freie Arztwahl soll ungeachtet der Versicherungspolice möglich sein.
Der Kamerbrief von Premier Rutte über die gescheiterte Abstimmung zum zorgwet
Werde das Gesetz erneut abgelehnt, so PvdA-Chef Diederik Samsom während der anschließenden Debatte in der Zweiten Kammer, erwäge die Regierung, das Gesetz als Algemene Maatregel van Bestuur (AMvB)- ein Regierungsbeschluss welcher keine Zustimmung der Ersten Kammer erfordert - durchzusetzen. Hierüber stolperten nun wieder die "befreundeten" Oppositionsparteien D66, ChristenUnie und SGP, deren Stimmen für eine Mehrheit im Senat nötig sind. Auch Sozialisten und Christdemokraten hakten an dieser Stelle kritisch nach. Ein Antrag des CDA-Fraktionsführer Sybrand van Haersma Buma, den geänderten Gesetzesvorschlag überhaupt nicht wieder einzubringen, wurde abgelehnt. Die Debatte endete erst kurz vor vier Uhr morgens.
Wie geht es weiter?
Aus dem Kompromiss, der nun erarbeitet wurde, muss ein neuer Gesetzesvorschlag erarbeitet werden. Dies wird für das kommende halbe Jahr erwartet. Auch der neue Reformvorschlag muss die Erste Kammer passieren. Dann wird erst klar sein, ob Schippers Pläne die nötige Unterstützung finden werden.
Die Krise habe die Position der Regierung geschwächt, so ein Kommentar im NRC Handelsblad. Vor allem der vorgeschlagene Trick von PvdA-Chef Samsom, das Gesetz als AMvB durchsetzen, "rieche nach Panik".