Nachrichten Oktober 2013


KÜRZUNGEN: Öffentlich-rechtliche Sender riefen zu Protesten auf

Den Haag/Hilversum. /niet123weg.nl/NOS/NRC/VK. 09. Oktober 2013.

Etwa 3.000 Menschen demonstrierten heute in Den Haag gegen geplante Sparmaßnahmen in Höhe von 100 Millionen Euro für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in den Niederlanden. Unter dem Motto „Unsere Sendungen spart man nicht 123 ein“ hatten 13 öffentliche Rundfunkvereine zu einer Kundgebung mit Showprogramm aufgerufen und heute Vormittag eine Vielzahl von Unterschriften an Kulturstaatsminister Sander Dekker (VVD) übergeben.

„Wir verstehen, dass wir uns aktuell in einer Krise befinden und das stark eingespart werden muss – auch beim niederländischen öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Darum hat man von uns auch nichts gehört, als das Kabinett uns im vergangenen Jahr um 200 Millionen Euro kürzte. […] Nochmals 100 Millionen Euro bedeuten den Tod für viel zu viele der schönen öffentlich-rechtlichen Sendungen“. Diese Worte prangten über einer Petition, die bis heute 261.264 Niederländerinnen und Niederländer unterzeichnet hatten. Sollten die Pläne der beiden Regierungsparteien VVD und PvdA Wirklichkeit werden und in Zukunft tatsächlich 300 Millionen Euro eingespart werden müssen, dann würde ein ganzes Drittel des 900 Millionen Euro hohen Budgets der öffentlich-rechtlichen Sender verschwinden. Der Vorstandsvorsitzende des öffentlich-rechtlichen Dachverbandes NPO, Henk Hagoort, findet die aktuelle Regierungspolitik vor allem widersprüchlich: „Im Koalitionsvertrag steht, dass die Regierung an einen breit aufgestellten öffentlich-rechtlichen Rundfunk glaubt. Aber gleichzeitig steht auch diese Einsparung dort drin. Wir weisen die Zweite Kammer einzig und allein auf die gegensätzlichen Aussagen im Koalitionsvertrag hin“.

Kritische Töne zum heutigen Demonstrationsaufruf kamen vor allem von Zeitungskommentatoren (allen voran in der Boulevardzeitung De Telegraaf). Aber auch aus der liberalen Partei VVD gab es Kritik. So finden es viele einen Skandal, dass die Angestellten der öffentlich-rechtlichen Sender, die mit öffentlichen Geldern bezahlt werden, an ihrem Arbeitstag zu einer Demonstration gehen. „Wir streiken nicht“ wiedersprach allerdings Demo-Organisator Jan Slagter: „Das Fernsehprogramm wird ganz normal ausgestrahlt.“ Gemutmaßt wird, dass die Journalisten der schreibenden Zunft den öffentlich-rechtlichen Rundfunk vor allem als Konkurrenz sehen und meinen, dass es ihnen besser geht, wenn es den Sendern schlechter geht. Auch fragte man sich heute in der Tageszeitung de Volkskrant, warum ein Format wie das niederländische „Bauer sucht Frau“ im öffentlich-rechtlichen Programm und nicht bei einem Privatsender läuft.

Anlass für den Zeitpunkt der heutigen Demonstration war eine Parlamentsdebatte über die Einsparungen im Rundfunkbereich, die für morgen geplant war. Zudem führen die beiden Regierungsparteien mit den Oppositionsparteien momentan Verhandlungen für den Haushalt für 2014 durch (NiederlandeNet berichtete). Die Demonstranten hofften nun, dass ihre Klagen erhört und die Parteien den strittigen Einsparposten noch mit in die Verhandlungen aufnehmen werden. Die sozialistische SP hatte bereits vor der heutigen Demo zu erkennen gegeben, dass man einen Antrag ins Parlament einbringen möchte, um auf den 100 Millionen großen Einsparposten zu verzichten. Die sozialdemokratische PvdA ist als Regierungsmitglied an den Koalitionsvertrag gebunden – trotzdem hoffen die Vertreter des öffentlich-rechtlichen Rundfunks noch auf einen Kurzwechsel. Nach Aussage des medienpolitischen Sprechers der Sozialdemokraten, Martijn van Dam, ist es aber sehr unwahrscheinlich, dass man doch noch auf die 100 Millionen verzichtet. Auch Staatsminister Sander Dekker machte bei der Entgegennahme der Unterschriftenliste heute keine großen Hoffnungen. Er sagte zwar, dass er die Sorgen versteht, die Pläne wolle er aber trotzdem durchsetzen. Dekker sei auch ein Befürworter eines starken öffentlich-rechtlichen Rundfunks, „aber ich glaube auch, dass wir etwas verändern müssen, um einen starken Rundfunk zu behalten“.

Mögliche Veränderungen, von denen Dekker spricht, werden in den Niederlanden aktuell scharf diskutiert. So ist die niederländische Regierung beispielsweise der Ansicht, dass die öffentlichen Sender in Zukunft mehr eigene Einkünfte durch Werbung erzielen sollen. Das könnte 35 bis 46 Millionen Euro zusätzlich pro Jahr in deren Kassen spülen. Dafür müsste allerdings zuerst das Mediengesetz angepasst werden. Nach Meinung der privaten Sender sollten die Öffentlich-Rechtlichen jedoch ganz ohne Werbung auskommen, da den Privaten ansonsten selbst Werbeeinnahmen verloren gingen.

Grundsätzlich beherrschen neben der Beibehaltung des status quo momentan zwei alternative Modelle die Diskussion über die Zukunft des staatlich geförderten Rundfunks. Das erste Modell würde eine Verbreiterung des Angebots bedeuten: Die Sender bekommen durch höhere Werbeeinnahmen oder mehr Geld von den Kabelgesellschaften ein höheres Budget. Im Gegenzug müssen aber teure Säulen des bisherigen Programms wie etwa die Übertragung von Fußballveranstaltungen weichen. Auf digitalen Verbreitungswegen wie dem Internet, Smartphones, Tablets und Smart-TVs kann der Rundfunk aber stark vertreten bleiben. Fraglich ist hierbei, ob es so nicht zu einer Wettbewerbsverzerrung kommen würde und die EU-Kommission ein angepasstes Mediengesetz überhaupt gut heißen würde. Ein alternatives zweites Modell würde eine Verschmälerung des öffentlichen Rundfunks bedeuten, nach der nur fünf der bisherigen Hauptsäulen übrig bleiben würden: Journalistische Formate, niederländische Dramen und Dokus, Kindersendungen sowie Wissens- und Kulturformate. Es würde keine Unterhaltung, keine Realityformate und keine Sport mehr geben. Im Internet wären ähnlich wie in Deutschland zudem nur noch Informationen abrufbar, die mit den gesendeten Beiträgen korrespondieren.

Mehr zum niederländischen Mediensystem in unserem Hintergrunddossier.