Nachrichten Juni 2013
POLITIK: Niederlande fordern mehr Subsidiarität in Europa
Den Haag. AF/DWN/EUobserver.com/FT/rijksoverheid.nl/VK/Welt. 24. Juni 2013.
In vielen Politikfeldern sei eine europäische Zusammenarbeit gut und richtig, doch die Zeit einer „ever closer union“ in allen möglichen Politikbereichen sei vorbei, so die niederländische Regierung in einem Brief an die Zweite Kammer vergangenen Freitag. „Niederländische Subsidiaritäts-Exerzierübung“ nennt das Kabinett seine Vorschläge und drängt damit auf eine Revision der politischen Integration innerhalb der Europäischen Union.
„Mit diesem Brief und der beiliegenden Inventarisierung führt das Kabinett sein Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag aus, im europäischen Verband Vorschläge zu machen, welche Politikbereiche an nationale Regierungen übertragen werden können“, so der einleitende Satz des von Außenminister Frans Timmermans (PvdA) verfassten Briefes. Schon das Nein im 2005 abgehaltenen Referendum über eine Europäische Verfassung habe gezeigt, dass der niederländischen Bevölkerung eine Union, die sich immer weiter ausbreite und immer stärker einmische, nicht behage. Auch in jüngster Zeit gaben sich die Niederlande sehr EU-skeptisch (NiederlandeNet berichtete).Deshalb wolle die niederländische Regierung Vorschläge unter dem Motto „Europäisch was europäisch sein muss, national was national möglich ist“ unterbreiten.
Bescheiden und effektiv
Hierfür hat das niederländische Kabinett eine Inventarisierung aller Politikbereiche, die bereits in europäische Hand liegen, oder denen eine Europäisierung „drohe“, durchführen lassen. Das Ergebnis ist eine Liste mit 54 Aktionspunkten.
Nach den Vorstellungen aus Den Haag sollte beispielsweise kein europaweites Konjunkturprogramm gefahren werden: „Konjunkturelle Stabilisierung kann am besten auf nationalem Niveau stattfinden“. Auch aus der Steuerpolitik solle sich die EU generell heraushalten – Ausnahmen sieht die niederländische Regierung im Bereich der Steuerflucht, bei der grenzüberschreitende Aspekte eine entscheidende Rolle spielten. Auch Einrichtungen wie ein Europäisches Freiwilligenkorps oder eine Europäische (Natur-) Katastrophenversicherung bewertet das niederländische Kabinett kritisch. In bestimmten Punkten der Migrations- und Umweltpolitik wünscht sich die Niederlande ebenfalls wieder mehr Eigenverantwortung. Auch eine weitere Harmonisierung der Sozialsysteme findet die niederländische Regierung nicht nötig.
Diese Liste sei ein erster Ansatz für eine Diskussion über „ein Europa, das bescheidener, nüchterner und gleichzeitig effektiver ist“, erklärte Timmermans in seinem Brief. Das niederländische Parlament werde die 54-Punkte-Liste noch vor der Sommerpause diskutieren.
Reaktionen
Ausländische Medien reagierten unterschiedlich auf den niederländischen Vorstoß. Vielfach wurden die Worte des niederländischen Premiers Mark Rutte (VVD) zitiert, es sei das erste Mal, dass ein Migliedstaat eine derartige Inventarisierung durchführe. In Großbritannien wird die niederländische Agenda als Stärkung der eigenen Pläne, neue Opting-Out-Punkte aus dem EU-Gesetz zu verhandeln, gesehen. Der britische Außenminister, William Hague (CUP) erklärte sogar, man wolle ebenfalls ein Memo nach Timmerman’schem Vorbild ausarbeiten.
Die deutschen Medien betrachten die zunehmende Europa-Skepsis des EU-Gründungsmitgliedes Niederlande vornehmlich mit Sorge. Etwas verwundert weist beispielsweise Die Welt darauf hin, dass Ruttes Koalition aus den konservativen Liberalen und den Sozialdemokraten die Parlamentswahlen im vergangenen Jahr doch mit einer Pro-Europa-Agenda gewonnen habe.
Und als gänzlich anti-europäisch dürfen die Niederlande auch nach dieser Inventarisierung nicht betrachtet werden. Die niederländische Opposition wird heute Mittag als Reaktion auf die 54-Punkte-Liste der Regierung eine Liste mit Politikbereichen präsentieren, die nicht länger national sondern europaweit behandelt werden sollten.
Den Brief sowie die Inventarisierungsliste finden Sie auf der Webseite der niederländischen Regierung.