Nachrichten Januar 2013
CAMERONREDE: Europa-Diskussion in den Niederlanden
Brüssel/Den Haag/London. TM/dlf/EV/FAZ/peil.nl/SZ/VK. 24. Januar 2012.
Spätestens nachdem der britische Premier David Cameron nach monatelanger Ankündigung und mehrmaligem Verschieben nun am Mittwoch in London seine Grundsatzrede zur Rolle seines Landes in der Europäischen Union gehalten hat, beginnt auch in den Niederlanden eine erneute Debatte über den Sinn der eigenen EU-Mitgliedschaft und den Wunsch eines eigenen Referendums über die weitere Zugehörigkeit des Landes in der EU. Ganz so kritisch wie in England sieht man die eigene EU-Mitgliedschaft im Gründerstaat Niederlande jedoch nicht, wie jüngste Umfragen belegen.
Es waren kritische Worte, die der konservative Premierminister Großbritanniens am Mittwoch in London an sein eigenes Volk sowie an die europäische Öffentlichkeit richtete: Ein Referendum über die britische Mitgliedschaft in der EU hatte er bis zum Jahr 2017 angekündigt und zudem die Absicht erklärt, die Europäische Union in ihrer jetzigen Form reformieren zu wollen. Viele der an Brüssel abgetretenen Befugnisse sollen wieder zurück zu den nationalen Parlamenten wandern und somit den ausgerufenen Trend nach einer immer größer werdenden politischen Union umzukehren. Obwohl sich die Rede vor allem an das eigene eurokritische Volk richtete, wollte Cameron ursprünglich jedoch nicht in London über seine Europapläne sprechen. Vielmehr wollte er die Hauptstadt eines anderen EU-Staates auswählen, um den Britinnen und Briten zusätzlich das Signal mit auf den Weg zu geben, dass er mit seiner Forderung nach weniger Europa nicht alleine dasteht.
Absagen aus den europäischen Hauptstädten
Zunächst hatte sich Cameron den 22. Januar und Berlin für seine Grundsatzrede ausgesucht, dort fand aber gerade die deutsch-französische Feier des Elysée-Vertrages statt, was die Pläne Camerons sowohl bei Angela Merkel als auch bei François Hollande auf wenig Gegenliebe stoßen ließ. Anschließend war Rom dann Camerons Ziel, welches sich durch den aktuellen Wahlkampf dort jedoch auch nicht als optimal erwies. Schließlich sollten es mit Amsterdam die Niederlande sein – kein so großes Land wie Deutschland oder Italien, jedoch sind die Niederlande ein traditioneller Verbündeter der Briten. Cameron und sein Den Haager Amtskollege Mark Rutte (VVD) verstehen sich zudem ausgesprochen gut. „Ich glaube, dass es für die Briten klar ist, dass die Niederlande eine Art von Brücke sind zwischen Großbritannien und der EU. Diese Rolle haben wir immer gespielt, seit 60 Jahren. Und ich glaube, dass in dem Sinne Cameron auch gedacht hat, meine Freunde sitzen in Holland und ich gehe nach Holland und halte dort meine Rede.“, interpretiert der niederländische Außenminister Frans Timmermans (PvdA) dann auch die Wahl Camerons. Trotzdem kam die Ankündigung für die EU-kritische Grundsatzrede aus London beim niederländischen Premier nicht gut an. Der Versuch, „Rutte als kontinentalen Bruder im europäischen Geiste [zu] karikieren, hat die Haager Regierung [vielmehr] irritiert“, wie es Andreas Ross in der FAZ bewertet. So wollte Mark Rutte der Rede auch nicht beiwohnen – lediglich ein kleines Zeitfenster am frühen Morgen hätte er am vergangenen Freitag freimachen können, um sich mit David Cameron zu treffen.
Und letztlich sollte es dann doch auch ganz anders kommen: David Cameron sagte die Rede wegen der Geiselnahme in Algerien abermals kurzfristig ab und hielt sie am vergangenen Mittwoch gleich zuhause in London. Die niederländische Regierung wird diesem Umstand wohl kaum eine Träne nachgeweint haben. Zwar fällt der EU-Gründerstaat in den vergangenen Jahren vermehrt durch vermehrte Kritik an einem immer weiter gehenden ungehemmten Voranschreiten der europäischen Vergemeinschaftung auf. Dazu kann man beispielweise an das mit großer Mehrheit gescheiterte niederländische Referendum zum Verfassungsvertrag im Jahr 2005 denken. Oder auch an die stark eurokritischen Töne des Populisten Geert Wilders, der in der vergangenen Legislaturperiode dem Volk in diesem Punkt nach dem Mund sprach und vor den Wahlen im September mit seiner Forderung nach einem Austritt aus der Eurozone Stimmung machte.
Diese Stimmung wurde in der Amtszeit des ersten Kabinetts von Mark Rutte, bei dem Geert Wilders‘ Partei als Königsmacher einer liberal-konservativen Minderheitsregierung auftrat, von vielen der etablierten politischen Parteien übernommen. Und noch im Wahlkampf gab auch Mark Rutte das Wahlversprechen ab, den Griechen keinen Cent zusätzlich mehr zu leihen. Nach der Wahlniederlage populistischer Parteien im September war unser westliches Nachbarland jedoch wieder als durchweg pro-europäisch eingestuft worden; nicht zuletzt auch deshalb, weil mit der sozialdemokratischen PvdA nun eine viel EU-freundlichere Partei mit in der Regierung sitzt. Der deutsche Außenminister Guido Westerwelle etwa beglückwünschte die Niederlande nach der Wahl zu ihrer Rückkehr zu den europäischen Wurzeln.
Timmermans: Niederlande wollen keine Opt-outs
Obwohl die Grundsatzrede Camarons nun letztendlich nicht in Amsterdam stattfand, wurde auch Markt Rutte in der Rede genannt. So bezeichnete der britische Premier seinen niederländischen Amtskollegen ausdrücklich als Verbündeten und lobte ihn am Mittwochmorgen in London für seine Initiativen für eine Reform der Europäischen Union. Cameron spielte damit auf eine Initiative von Ruttes Regierung an, mittels einer speziellen Arbeitsgruppe in Den Haag die Möglichkeiten auszuloten, auf welchen Feldern Brüssel in Zukunft wieder verschlankt werden kann und die nationalen Parlamente frei nach dem Subsidiaritätsprinzip wieder vermehrt die Aufgaben zurückfordern könnten, die im Rahmen der Nationalstaaten besser zu regeln wären. Vergleichbar mit den Forderungen Camerons ist dieses Ansinnen jedoch nicht, denn selbst in Den Haager Regierungskreisen erwartet man lediglich, dass es sich um mehr symbolische Forderungen handeln wird, welche die eingesetzte Arbeitsgruppe im Sommer präsentieren will.
Ein Zurückschrauben der EU-Kompetenzen auf die Zeit der europäischen Freihandelsgemeinschaft oder Ausnahme- und Sonderregelungen für Großbritannien, wie es Cameron forderte, sei für die niederländische Regierung überhaupt nicht denkbar. Dies machte auch der niederländische Außenminister Frans Timmermans kürzlich in einem Interview mit dem Deutschlandfunk deutlich. Auf die Frage, ob für sein Kabinett auch das Zurückholen von Kompetenzen aus Brüssel ein erklärtes Ziel sei, meinte dieser: „Nein, wir wollen keine Opt-outs. Wir wollen eine Debatte in Brüssel mit den EU-Partnern, um mal zu sehen, ob die Kompetenzen, die jetzt in Brüssel liegen, ob die auch in der Zukunft noch in Brüssel liegen bleiben müssen. Aber das wollen wir mit den Partnern besprechen.“
Bevölkerung mehrheitlich pro-europäisch
Noch vor der Rede Camerons wurde während der sich abzeichnenden Benennung des niederländischen Finanzministers Jeroen Dijsselbloem zum Chef der Eurogruppe (NiederlandeNet berichtete) über die Möglichkeiten der Mitsprache des Landes in der EU diskutiert (NiederlandeNet berichtete). Nach der Rede kam in den Niederlanden nun die Frage hinzu, ob es auch dortzulande zukünftig ein Referendum über die eigene Mitgliedschaft in der Europäischen Union geben soll. Innerhalb des Parlaments hatten sich hierfür vor allem Rechts- und Linkspopulisten von PVV und SP ausgesprochen und angekündigt, eigene Initiativen in der Zweiten Kammer zu starten.
Die beiden Regierungsparteien VVD und PvdA lehnen ein Referendum allerdings strikt ab – obwohl eine aktuelle Umfrage des Meinungsforschungsinstitutes Maurice de Hond festgestellt hatte, dass eine kleine Mehrheit von 52 Prozent der Befragten eine solche Volksabstimmung über Europa gut heißen würde. Trotzdem hätten die Europabefürworter wohl momentan nichts zu befürchten, denn gleichzeitig hatten auch 56 Prozent der Umfrageteilnehmer angegeben, für den Verbleib in der EU zu stimmen. Eine aktuelle Eurobarometer-Befragung kommt jedoch auch zu dem Ergebnis, dass sich im Vergleich zu allen anderen EU-Staaten in den Niederlanden mit 29 Prozent die wenigsten Menschen mit dem gemeinschaftlichen Sternenbanner identifizieren können. Hierbei gibt sich sogar Großbritannien mit 44 Prozent viel europafreundlicher.
Im Gegensatz zu den Briten stünde für die stark vom Handel abhängigen Niederlande bei einem Austritt aus der EU vermutlich aber viel mehr auf dem Spiel. Auf die Frage, ob ein Abschied aus der Gemeinschaft nicht die bessere Alternative wäre, antwortete Mark Rutte während des letzten Wahlkampfes dann auch folgendes: „Für unsere Wirtschaft wäre ein Austritt tödlich“. Eine Antwort, welche wohl zumindest die britischen Unternehmer ebenfalls unterschreiben würden.