Nachrichten Januar 2013


EUROPA: Dijsselbloem Chef der Eurogruppe 

Brüssel/Den Haag. AF/ARD/Bild/SPON/VK/Welt. 22. Januar 2013.

„Dieser Holländer passt künftig auf unser Geld auf“ überschrieb das deutsche Boulevardblatt Bild die Mitteilung, dass der niederländische Finanzminister Jeroen Dijsselbloem (PvdA), der „praktisch kaum Erfahrung mit Europa hat“, gestern Abend zum Chef der Eurogruppe gewählt wurde. Die Wochenzeitung Der Spiegel erwartet einen solidarischen, sparsamen, aber diplomatischen Führungsstil vom neuen „Mister Euro“, während Die Welt warnte, Dijsselbloem sei „ein Dämpfer für Merkels Sparkurs“. Wie ist er also, der neue Eurogruppenchef?

Nach wochenlangen Spekulationen (NiederlandeNet berichtete) war es dann gestern soweit: Jeroen Dijsselbloem wurde zum neuen Eurogruppenchef gewählt. Frankreich zweifelte wohl bis kurz vor Schluss, Spanien votierte gegen ihn. Dennoch sei die Wahl insgesamt "reibungslos über die Bühne gegangen", so Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) gegenüber der Nachrichtensendung Tagesschau. Deutschland stehe hinter dem Niederländer.

Auch in den Niederlanden selbst wurde Dijsselbloem, der seinen Posten als Finanzminister trotz der neuen Aufgabe beibehalten wird, die Unterstützung der Regierung zugesichert. Premier Mark Rutte (VVD) erklärte „Ich gratuliere Jeroen Dijsselbleom zu seiner Ernennung als Vorsitzender der Eurogruppe. Er hat sowohl meine vollste Unterstützung als auch die seiner Kabinettskollegen. Völlig zurecht hat er heute Abend auch den Rückhalt seiner europäischen Kollegen bekommen."

Dijsselbloems Parteigenosse und Freund Diederik Samsom gratulierte per Nachrichtendienst Twitter: „Unglaublich stolz auf unseren Jeroen Dijsselbloem. Vorsitzender der Eurogruppe. Gut für die Niederlande. Gut für Europa.“

Vom studierten Landwirt zum Spitzenpolitiker

Als studierter Agrarökonom hatte Dijsselbloem ursprünglich andere Pläne mit seinem Leben, wie seine ehemalige Kommilitonin Desiree van den Boogerd gegenüber dem ARD-Hörfunkstudio in Den Haag erklärte. „Er wäre gerne Tierarzt oder so etwas geworden. Er hatte eine romantische Vorstellung von einem Leben auf dem Lande, umgeben von Tieren.“

Doch dann ging er mit seinem landwirtschaftlichen Wissen Anfang der 1990er Jahre in die Politik. Zunächst arbeitete er für das niederländische Landwirtschaftsministerium, dann für die EU-Delegation seiner Partei in Brüssel, später für die PvdA-Fraktion in Den Haag. Drei Jahre lang war er für die PvdA Mitglied im Wageninger Gemeinderat. Vom Mitarbeiter des Landwirtschaftsministers arbeitete er sich zum stellvertretenden Stabschef des Ministeriums hoch.

Seit 2002 ist Dijsselbloem Mitglied der Zweiten Kammer. Zusammen mit anderen jungen Akademikern wie dem heutigen PvdA-Chef Diederik Samsom wollte er Anfang der 2000er als „roter Ingenieur“ die niederländische Sozialdemokratie erneuern. Wirklich ans Ruder kam die neue Generation allerdings erst mit dem Rücktritt Job Cohens als Fraktionsvorsitzender im Februar 2012 (NiederlandeNet berichtete). Dijsselbloem, der seit 2008 den stellvertretenden Fraktionsvorsitz innehat, übernahm die Fraktionsleitung bis sein Parteifreund Samsom im März 2012 zum neuen  Fraktionsvorsitzenden gewählt wurde (NiederlandeNet berichtete).

Bis er im November 2012 Finanzminister wurde (NiederlandeNet berichtete), stand Dijsselbloem zwar selten im Rampenlicht, doch als politisch unerfahren kann man ihn dennoch nicht bezeichnen. Bis 2012 war er PvdA-Sprecher für die Themen Jugendschutz, Unterricht und Bildungspolitik. Auch stand er 2007 einer Untersuchungskommission zum Thema Unterrichtserneuerung vor. Seit 2010 schreibt er an den Programmen der Partei mit. Auch für die erfolgreiche PvdA-Wahlkampagne im vergangen Jahr war Dijsselbloem mitverantwortlich. Als Samsoms Sekundant war er dann auch an den Koalitionsgesprächen nach der Wahl maßgeblich beteiligt. 

Dijsselbloem: Diplomat und Stratege

Auch nach seiner gestrigen Wahl zeigte Dijsselbloem sich gut vorbereitet: Er hatte bereits sein Arbeitsprogramm dabei. "Es ist unabdingbar, dass wir Jobs und Wirtschaft durch wachstumsfördernde Strukturreformen anschieben, unsere Wettbewerbsfähigkeit verbessern sowie die Arbeitslosigkeit und die sozialen Folgen der Krise angehen", erklärte er.

Diplomatisch versuchte er einerseits die reichen Triple-A-Staaten, andererseits die hochverschuldeten Länder zufriedenzustellen: Die Euro-Staaten sollen ihren Schwerpunkt stärker auf nachhaltiges Wirtschaftswachstum legen, was natürlich nur bei gesunden Staatsfinanzen möglich sei. Als Sozialdemokrat stehe Solidarität dennoch ganz oben auf seiner Liste. Vor allem gegen die Massenarbeitslosigkeit als Folge der Eurokrise wolle er etwas unternehmen.

Der 46-jährige Dijsselbloem wird es in seinem neuen Amt nicht leicht haben. Von allen Seiten werden bereits die unterschiedlichsten Forderungen an ihn herangetragen. Seine österreichische Amtskollegin Maria Fekter (ÖVP) verlangte, der Niederländer müsse die klassische „Hartwährungspolitik“ seines Heimatlandes nun auch in seiner neuen Funktion fortsetzen. Der irische Finanzminister Michael Noonan (FG) stellte klar, er erhoffe sich von Dijsselbloem, dass er die Interessen der kleinen Mitgliedsländer vertrete. Frankreich forderte die Fortsetzung der ausgleichenden Politik des bisherigen Eurogruppenchefs Jean-Claude Juncker (CSV), die zwischen den nördlichen und südlichen Eurogruppen-Mitgliedern immer vermittelt habe.

Kein Wunder, dass so mancher europäischer Kollege zweifelt, ob Dijsselbloem der neuen Aufgabe wirklich gewachsen ist. Schließlich sei der junge Sozialdemokrat erst seit rund drei Monaten überhaupt Finanzminister und jetzt gleich der nächste riesige Karriereschritt. Doch, so der Korrespondent der Volkskrant in Brüssel, Marc Peeperkorn, dies sei kein Zufall. So wie „überhaupt wenig zufällig ist im politischen Operieren Dijsselbloems“.