Nachrichten Februar 2013


INTEGRATION: „Pflicht des Migranten ist, die niederländischen Werte zu verinnerlichen“

Den Haag. AF/CBS/rijksoverheid.nl/VK. 20. Februar 2013.

Alle Migranten, die sich in den Niederlanden niederlassen, sollen in Zukunft einen so genannten Partizipations-Vertrag unterschreiben. Damit bekennen sie sich zu den niederländischen Grundrechten und dem niederländischen Rechtsstaat, so der niederländische Sozial- und Arbeitsminister Lodewijk Asscher (PvdA) heute in einem Interview mit der Tageszeitung de Volkskrant. Auch Migranten aus der EU, der Türkei und von den Antillen, die bisher keinen Einbürgerungstest ablegen müssen, sollen unter diese neue Regelung fallen.

„Ich will jedem Migranten, der sich bei einer [niederländischen] Gemeinde anmeldet, deutlich machen, was wir erwarten und was wir bieten. Mit allen soll ein Partizipations-Vertrag geschlossen werden, also auch mit Menschen von anderswo aus dem Königreich[1] und aus der Europäischen Union. Es geht um die Rechte und Pflichten im Rechtsstaat, die Grundrechte. Indem sie unterschreiben, erkennen die Neuankömmlinge diese an“, so Asscher im Volkskrant-Interview.

Eigenverantwortung und staatliche Beaufsichtigung

Da auf die Worte auch Taten folgen sollen, ließ Asscher seine Ideen zur Integrationspolitik unter dem Titel „Agenda Integratie“ inzwischen der Zweiten Kammer zukommen. Anlass für die neuen Integrationspläne sind neben dem erwarteten Zustrom rumänischer und bulgarischer Migranten ab dem Jahr 2014 zwei neue niederländische Untersuchungen zum Thema Integration. Der „Jaarrapport Integratie 2012“ des zentralen Statistikamtes der Niederlande (CBS) sowie die Studie „Dichter bij elkaar?“ (dt.: Näher zusammen?) der Regierungsbehörde Sociaal en Cultureel Planbureau (SCP), die unlängst veröffentlichen wurden, machen deutlich, dass zwischen Niederländern und Immigranten ein großer sozialer und kultureller Abstand besteht, der sich in den vergangenen Jahren nicht verkleinert hat. Vor allem bei der (Jugend-)arbeitslosigkeit und (Jugend-)kriminalität schneiden Migranten schlechter ab als die niederländischen Vergleichsgruppen.

Diese Probleme möchte der sozialdemokratische Asscher nun angehen. Die Überschriften der Kernthemen seiner neuen Integrationspolitik muten dabei liberal bis paternalistisch an:  „Mitmachen und selbständig sein“, „Grenzen setzen und erziehen“, „Miteinander umgehen und Werte verinnerlichen“. 

Diese Ambivalenz von Eigenverantwortung und staatlichen Beaufsichtigung zieht sich durch die gesamte Agenda. Einerseits stellt Asscher klar, dass gelungene Integration vor allem Aufgabe der Migranten selbst sei: „Migranten sind selbst dafür verantwortlich, die niederländische Sprache zu erlernen und die Fähigkeiten zu erlernen, die dafür nötig sind, um an der niederländischen Gesellschaft teilzunehmen.“ Andererseits sieht er sehr wohl den Staat in der Pflicht, strukturelle Hürden abzubauen. Die hohe Jugendarbeitslosigkeit unter Migranten etwa soll durch eine bessere Verkettung von Schule und Arbeitsmarkt, sowie eine intensivere Berufswahlberatung gesenkt werden.

Beibringen „wie es hier läuft“

Dem Problem der hohen Jugendkriminalität unter Migranten soll mit einem kombinierten Ansatz begegnet werden: Repression von kriminellem Verhalten und Prävention durch eine Verbesserung der Ausgangsposition vieler Jugendlicher. Hierfür will der Sozialminister auch die Eltern verstärkt mit ins Boot holen. „Ich möchte in Zusammenarbeit mit dem Ministerium für Gesundheit, Gemeinwohl und Sport schauen, wie Eltern, die nicht wissen, wie sie ihre Kinder am besten begleiten sollen, befähigt werden können, ihre Kinder gut zu erziehen – im Rahmen der Werte der niederländischen Gesellschaft“. Auch die Schulen spielten eine wichtige Rolle dabei, den Kindern beizubringen „wie es hier läuft“.  Dort sollen Kinder alle „Codes und ungeschriebenen Regeln, die hier gelten“, lernen.  Gegenüber de Volkskrant erklärte er, die „größte Pflicht eines Migranten“ sei, „sich mit dem Land zu beschäftigen, in dem seine Zukunft und die Zukunft seiner Kinder liegt. Er muss die niederländischen Werte und Errungenschaften verinnerlichen und danach leben.“

Die wiederholte, aber grundsätzlich abstrakte Forderung, nach niederländischen Werten zu leben, führt Asscher in seiner Agenda unter den beiden Absätzen „Die Akzeptanz Homosexueller unter ethnischen Minderheiten fördern“ sowie „Zwangsehe bekämpfen“ näher aus. Im Interview bringt er es auf den Punkt: „Wir müssen deutlicher hervorheben, was dieses Land so großartig macht: Die Freiheit, Du selbst zu sein.“ Im Gegenzug müsse die niederländische Gesellschaft dafür sorgen, dass Diskriminierung aufgrund der Herkunft, der Hautfarbe oder des sozialen Hintergrundes, nicht geschehe.

Asscher ist überzeugt, mit seiner Plänen, Integration zu erleichtern – zumindest für Randgruppen innerhalb der ethnischen Minderheiten: „ich reiche damit den Migranten die Hand, die unter Gruppendruck stehen, ihrem Glauben weiterhin treu zu bleiben, den Frauen, die nicht ökonomisch selbständig sein dürfen, den Homosexuellen, die sich nicht trauen, sich zu outen.“

Link zur Agenda Integratie (nl)


[1] Zum Königreich gehören die Niederlande und die Karibikinseln Aruba, Curaçao und Sint Maarten.