Nachrichten September 2012
GESELLSCHAFT: Facebook-Mord wirft Fragen zur Nutzung sozialer Medien auf
Arnheim. AF/DR/MKO/NOS/NRC/VK. 04. September 2012.
Gestern sprach das Gericht in Arnheim im so genannten Facebook-Mord sein Urteil: Jinhua K., der 15-jährige Niederländer chinesischer Herkunft bekam für den via Facebook abgesprochenen Mord an der 15-jährigen Joyce ‚Winsie‘ Hau die Höchststrafe. Nicht nur in den Niederlanden selbst, sondern weltweit hat der Fall für Aufsehen gesorgt und die Frage aufgeworfen, welche Rolle die sozialen Medien in diesem fatalen Streit unter Teenagern gespielt haben.
„Wir haben Deine Interessen gegen das Interesse der Gesellschaft abgewogen und beschlossen, den Fall weiterhin öffentlich zu verhandeln“, erklärte die Arnheimer Richterin M. Vierveijzer dem jungen Angeklagten Jinhua K. am gestrigen Verhandlungstag. Ein bemerkenswerter Entschluss, da Rechtsfälle mit Minderjährigen laut Gesetz hinter geschlossen Türen verhandelt werden müssen. „In speziellen Ausnahmefällen weicht das Gericht von dieser Vorgabe ab“, so Richter Rogier Sonneveldt gegenüber der Presse, „In diesem Fall hat man sich für eine öffentliche Verhandlung entschieden, weil der Fall besonders schwer wiegt und weil der gewaltsame Tod Winsies einen enormen Einfluss auf die Gesellschaft hatte. Es ist selten, dass so junge Menschen des Mordes verdächtigt werden. Das Gericht findet es deshalb wichtig, dass die Öffentlichkeit weiß, was passiert ist, und wie so ein Fall behandelt wird. Ob die sozialen Medien eine Rolle bei den Ereignissen gespielt haben, hat keinen Einfluss auf diese Entscheidung gehabt.“
Der letzte Satz stieß bei den Journalisten vor Ort jedoch auf taube Ohren. Aus aller Welt waren sie angereist, um über die Verhandlungen zum dem Mord zu berichten, der auf Facebook geplant wurde. „Deutsche Nachrichtensender, das belgische und französische Fernsehen, BBC News und der größte russische Fernsehsender Channel 1 Russia haben sich gemeldet“, so die Sprecherin des Gerichts, Marlou Nijland, „so etwas haben wir noch nie zuvor erlebt.“ Auch der Reporter der NOS, Theo Verbruggen, erklärte dem niederländischen Fernsehpublikum, die Verhandlung sei öffentlich, da es in diesem Falle wichtig sei, zu sehen, welchen Sprengstoff soziale Medien darstellten, um zu verstehen, was passiert ist: „Junge Menschen die bedroht werden, Eifersuchtsdramen … solche Dinge spielen sich ab, beispielsweise auf Facebook, und haben letztendlich zu diesem Mord geführt.“
Höchststrafe für Winsies Mörder
Im Januar dieses Jahres hatte der damals 14-jährige Jinhua die 15-jährige Winsie Hau in der Wohnung ihrer Eltern niedergestochen. Sie selbst hatte ihm die Tür geöffnet. Den Mord in Auftrag gegeben hatten die ehemals beste Freundin des Opfers, Polly (damals 15), und deren Freund Wesley (18). Polly und Winsie waren gute Freundinnen, so das NRC Handelsblad, doch im Dezember 2011 bekamen sie Streit. Winsie hatte via Facebook die sexuellen Eskapaden der Freundin verbreitet. Diese wurde daraufhin so wütend, dass sie ihrem Freund gegenüber den Wunsch äußerte, Winsie solle tot sein. Wesley bat in der Folge seinen Bekannten Jinhua, das Mädchen zu töten. Geplant wurde der Mord dann in Chat-Gesprächen auf Facebook und Skype.
In der Verhandlung erklärte Jinhua, Polly und Wesley hätten ihn unter Druck gesetzt, sodass er gezwungen gewesen wäre, den Auftrag auszuführen. Das Gericht jedoch befand, dass der Junge mehrere Möglichkeiten gehabt habe, auszusteigen. Sie verurteilten ihn zu einem Jahr Jugendgefängnis und drei weiteren Jahren Sicherheitsverwahrung – die Höchststrafe im niederländischen Jugendstrafrecht. Die Verhandlungen gegen Polly und Wesley gehen im Herbst weiter, da noch einige Zeugen gehört werden sollen.
„Facebook ist unschuldig“
Wie Jugendliche die sozialen Medien nutzen, wird in der niederländischen Öffentlichkeit seit dem Mord an Winsie breit diskutiert. Winsies Vater hielt nach der Urteilsverkündung ein Plädoyer dafür, den Zugang zu sozialen Medien für Kinder zu reglementieren, weil sie zu jung für diese Art der Kommunikation seien. Bereits vorher hatte er in einem Interview erklärt: „Die Welt hat sich seit der Erfindung des Internets verändert. Kleine Dinge können per Internet unkontrollierbar werden. Ich hoffe, dass dieser Fall die Menschen wachrütteln kann.“
„Ich denke, dass Facebook unschuldig ist“, erklärte hingegen Kolumnistin Wilma de Rek Mitte August in der Tageszeitung de Volkskrant. Natürlich sei es viel einfacher, jemanden per Tastatur zu beleidigen als wenn man sich gegenüberstehe, doch „die meisten Teenies haben auf Facebook Anderes zu tun als Morde zu planen“.
Remco Pijpers von der Initiative Mijn Kind Online (dt.: Mein Kind Online) erklärte gegenüber der NOS, dass die Art der Nutzung sozialer Medien durch Teenies so gut wie nicht zu kontrollieren sei. Jedoch habe eine Studie des Sociaal Cultureel Planbureau aus dem vergangenen Jahr gezeigt, dass nur rund vier Prozent der niederländischen Jugendlichen jemals digital gemobbt wurden, ein sehr geringer Prozentsatz. „Im Regelfall passiert nicht so viel. Doch wenn es schiefgeht, dann so richtig,“ so der Wortführer der Initiative, die bereits seit einigen Jahren Eltern, Pädagogen und Jugendlichen beim „richtigen“ Umgang mit den digitalen Medien unterstützt.