Nachrichten Oktober 2012


JUGENDFÜRSORGE: „Sexueller Missbrauch ist ein zähes Problem“

Den Haag. AF/Com-Sam/NOS/NRC/VK. 08. Oktober 2012.

Der niederländische Staat habe bei der Aufgabe, in staatliche Obhut genommenen Kindern eine sichere Umgebung zu bieten, versagt. So der heute vorgestellte Endbericht der unabhängigen Kommission Samson, welche sexuellen Missbrauch an niederländischen Heim- und Pflegekindern seit 1945 untersucht hat.

„Sexueller Missbrauch ist ein zähes Problem. Noch immer wird das Thema tabuisiert. Kindern fällt es schwer, darüber zu sprechen. Sozialarbeiter, die das Gefühl haben, dass in der Pflegefamilie ihres Schützlings etwas nicht stimmt, haben es häufig schwer, Gehör zu finden“, so die Kommissionsvorsitzende und ehemalige Oberstaatsanwältin Rieke Samson. Unter Samsons Leitung und im Auftrag des Justiz- und Familienministeriums hatte die Kommission zwei Jahre lang Formen und Ausmaß von sexuellem Missbrauch in der niederländischen Jugendfürsorge seit 1945 untersucht.

Anders als die Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche (NiederlandeNet berichtete), bekam der sexuelle Missbrauch in der staatlichen Jugendfürsorge bisher wenig mediale und politische Aufmerksamkeit. Der Abschlussbericht der Kommission Samson mit dem Titel „Umringt von Fürsorge, und doch nicht sicher“ setzte das Thema nun jedoch prominent auf die politische Agenda. Ans van de Maat, Leiterin der niederländischen Jugendfürsorge erklärte, ihre Einrichtung sei „tief getroffen“. „Bei jedem Kind, dem so etwas passiert ist, möchte ich mich im Namen der Jugendfürsorge entschuldigen.“

Als weitere Reaktion, kündigte die Jugendfürsorge an, eine unabhängige Kommission unter Leitung des ehemaligen Familienministers André Rouvoet (CU) einzusetzen, die untersuchen soll, wie sexueller Missbrauch in der Jugendfürsorge in Zukunft verhindert werden kann. Zudem müssen Mitarbeiter der Jugendfürsorge fortan ein fleckenloses polizeiliches Führungszeugnis vorweisen können, so Marlies Veldhuijzen van Zanten (CDA), Staatssekretärin für Volksgesundheit gegenüber dem NRC Handelsblad.

Dem Aufruf der Kommission Samson, sexuellen Missbrauch an Kindern, die von der niederländischen Jugendfürsorge in Obhut genommen worden waren, zu melden, waren seit 2010 rund 800 Personen gefolgt. Bei rund zwei Dritteln der Anzeigen handelte es sich um sexuellen Missbrauch in Kinderheimen, bei circa einem Drittel um Missbrauch in Pflegefamilien, und in fünf Prozent der Fälle erfuhren die Betroffenen sowohl im Kinderheim als auch in der Pflegefamilie sexuelle Gewalt. In zwei von drei Fällen war das Missbrauchsopfer weiblich. Zwar meldeten sich Missbrauchsopfer aller Altersklassen, doch die meisten Betroffenen sind heute zwischen 40 und 65 Jahren alt. Täter waren in rund 70 Prozent der Fälle Altersgenossen – seltener Erzieher oder Pflegeeltern. 42 Fälle von sexuellem Missbrauch wurden nun an die niederländische Staatsanwaltschaft weitergeleitet.

Die Schlussfolgerung der Kommission Samson lautet, Staat, Ämter und die Fürsorge haben darin versagt, Kinder, die durch den Jugendrichter aus ihren Herkunftsfamilien herausgeholt wurden, gegen sexuellen Missbrauch zu beschützen. Darüber hinaus wirft die Kommission der niederländischen Regierung für viele Jahre auch fehlenden Mut vor, das Thema aufzuarbeiten. Um Pflege- und Heimkinder in Zukunft besser vor sexueller Gewalt zu schützen, forderte die Kommission eine weitere Professionalisierung der Jugendfürsorge. Neben einer stärkeren Kontrolle der Einrichtungen und Pflegefamilien, müsste das Thema Missbrauch bereits während der Ausbildung zum Sozialpädagogen, bzw. bei der Bewerbung zur Pflegefamilie mehr Aufmerksamkeit erfahren.