Nachrichten November 2012
PATRIOT: Möglicherweise deutsch-niederländische NATO-Mission an türkisch-syrischer Grenze
Berlin/Den Haag. TM/DT/EV/FAZ/focus.de/FT/NRC/TR/VK/welt.de. 23. November 2012.
Nachdem in den vergangenen Monaten mehrmals syrische Granaten in türkischen Grenzdörfern eingeschlagen sind, hat die Regierung in Ankara am Mittwoch nun ein offizielles Ersuchen an die NATO gerichtet, in dem sie bei den Bündnispartnern nach Luftabwehrraketen vom Typ „Patriot“ fragt. Neben den USA verfügen nur Deutschland und die Niederlande in der NATO über den modernsten Typ PAC-3 dieser Waffen. Wie es ausschaut, werden sich auf jeden Fall Deutschland und die Niederlande an einem möglichen zukünftigen Einsatz beteiligen.
Eine Zusammenarbeit von deutscher Bundeswehr und niederländischer Krijgsmacht in der südanatolischen Grenzprovinz Sanliurfa wird durch das offizielle Ersuchen der Türkei damit nun immer wahrscheinlicher. Wie bereits am Sonntag von der NATO in Brüssel verlautete, soll der mögliche Einsatz binational ausgeführt werden. Beide Armeen haben in der Vergangenheit bereits oft gemeinsame Übungen mit dem modernen Patriot-Flugabwehrsystem durchgeführt, was sie für diese Bündnisaufgabe qualifiziert. In der vergangenen Woche gab es zudem bereits ein Gespräch zwischen der niederländischen Verteidigungsministerin Jeanine Hennis-Plasschaert und ihrem deutschen Kollegen Thomas de Maizière über den möglichen Einsatz an der türkisch-syrischen Grenze. Unlängst habe es bereits auch schon den Besuch eines Teams aus Militärs der niederländischen und US-amerikanischen Streitkräfte bei der türkischen Luftwaffenbasis Diyarbakir gegeben und von niederländischer Seite wurden Kundschafter in das Grenzgebiet geschickt, um die mögliche Mission vorzubereiten. Darüber hinaus ist die Türkei kein unbekanntes Territorium für das niederländische Raketenabwehrsystem, denn sowohl während des Golfkrieges im Jahr 1991 als auch zur Zeit des Irakkrieges im Jahr 2003 hatte die Niederlande das Patriot-System bereits zuvor an die Türkei ausgeliehen.
Trotzdem kann es noch Wochen dauern, bis die Abwehrsysteme auch wirklich dort installiert sind. So muss zum einen noch beschlossen werden, wo die Raketensysteme installiert werden sollen und die Raketen müssen per Schiff und LKW dorthin transportiert werden. Notwendig für einen solchen Einsatz sind zudem auch die Zustimmungen der deutschen und niederländischen Regierung. Beide haben jedoch bereits ihre Kooperation erklärt. In Deutschland ist das Okay der Bundesregierung jedoch von einer Stimmenmehrheit im Bundestag abhängig, aber auch hier scheint eine breite Unterstützung sicher zu sein. Lediglich Die Linke will bei der Abstimmung, welche in der ersten Dezemberhälfte stattfinden soll, dagegen stimmen. In den Niederlanden benötigt die Regierung streng formell keine Mehrheit der Zweiten Kammer. Aber auch hier zeichnet sich eine solche ab, denn nur die PVV argumentiert aktuell gegen einen solchen Einsatz.
Ursprüngliches Ziel des NATO-Ersuchens der Türkei ist die Schaffung einer Luftabwehr entlang der 900 Kilometer langen Grenze zu Syrien, um die dortigen Flüchtlingslager und Grenzdörfer zu beschützen. In den vergangenen Monaten sind mehrmals Raketen und Granaten aus Richtung Syrien auf türkischem Hoheitsgebiet eingeschlagen und sorgte für Verletzte. Dabei handelte es sich mehrheitlich um fehlgeleitete Sprengkörper von einer der sich in Syrien bekämpfenden Parteien. In einem Interview mit der Financial Times sagte der türkische Staatspräsident Abdullah Gül zudem, dass es sich große Sorgen darüber macht, dass Syrien in Zukunft auch chemische Waffen gegen sein Land einsetzen könnte: „Es ist bekannt, dass Syrien über chemische Waffen und alte sowjetische Trägersysteme verfügt. So dass, in dem unwahrscheinlichsten Fall, dass diese zum Einsatz kommen würden, ein Notfallplan in Kraft treten müsste und genau daran arbeitet die NATO gerade.“
Bei der Stationierung der Patriot-Raketen gehe es nur um eine reine Verteidigungsmaßnahme seitens der Türkei. Sämtlichen Befürchtungen, dass die Luftabwehrtruppen in den syrischen Bürgerkrieg verwickelt würden, trat am gestrigen Donnerstag der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan entgegen. Die NATO-Kräfte sollten lediglich der Verteidigung der Türkei dienen, zitierte ihn die türkische Nachrichtenagentur Anadolu. Kritik an der möglichen NATO-Präsenz an der türkisch-syrischen Grenze kam gestern jedoch von Seiten des syrischen Bündnispartners Russland. Dort befürchtet man, dass die Stationierung von Abwehrraketen zu einer weiteren Eskalation des Konfliktes in der Region führen könnte: „Das dortige Grenzgebiet wird immer unruhiger“, so der russische Vize-Außenminister Sergej Rjabkow, der gleichzeitig für eine politische Lösung des Konfliktes plädiert.
Ein Konflikt kündigt sich momentan aber erst einmal zwischen der Türkei und der NATO selbst an. Dies deshalb, weil der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan und die Regierungspartei AKP gestern erklärten, dass die Türkei selbst entscheiden möchte, wo die Patriot-Systeme aufgestellt werden sollen. Zudem fordert man vom Bündnis die Kommandogewalt über die Abwehrraketen ein: „Der Drücker wird bei unserer Armee liegen“, so der AKP-Sprecher Hüseyin Celik am Donnerstag.