Nachrichten Mai 2012
BEVRIJDINGSDAG: Gelungene Rede des deutschen Bundespräsidenten
Breda. AF/BuPrä/duitslandweb.nl/NOS/NRC/phoenix.de/RD/VK/Welt Online. 04. Mai 2012.
„Vor Ihnen steht ein dankbarer Mann, bewegt und voller Freude darüber, dass das Nationalkomitee für den 4. Und 5. Mai den deutschen Bundespräsidenten eingeladen hat, hier in Breda zu sprechen“, so begann Bundespräsident Joachim Gauck seine Rede anlässlich der Feierlichkeiten zum Nationalen Befreiungstag der Niederlande vergangenen Samstag. Dass ein Deutscher die offizielle Lesung am 5. Mai – dem Tag an welchem die Niederländer die Befreiung von der Nazi-Besetzung feiern – halten sollte, hatte im Vorfeld zu einzelnen Protesten geführt. Gauck traf jedoch den richtigen Ton und rief in den niederländischen Medien damit große positive Resonanz hervor.
„Vrijheid geef je door“ (dt.: Freiheit gibt man weiter) war das Motto des diesjährigen Befreiungstages. Die Rede zum 5. Mai soll dabei als Inspirationsquelle für eine Vertiefung der Debatte über Freiheit fungieren und ist als Moment der Besinnung auf die Verletzlichkeit der Freiheit, in den Niederlanden und anderswo, gedacht. Freiheit gilt als Joachim Gaucks großes Lebensthema, weshalb es kaum einen passenderen Gast als ihn hätte geben können (NiederlandeNet berichete).
Dennoch: Vor dem Besuch Gaucks gab es in den Niederlanden einzelne Proteste gegen die Einladung an den deutschen Bundespräsidenten (NiederlandeNet berichtete). Deutschland solle zuerst Klaas Carel Faber, einen niederländischstämmigen Waffen-SS-ler, der 1952 nach Deutschland floh und aufgrund seiner Dienste in der deutschen Wehrmacht deutscher Staatsbürger wurde, der niederländischen Justiz ausliefern. Nach dem Krieg wurde Faber in den Niederlanden zum Tode verurteilt; die Strafe wurde inzwischen zu lebenslanger Haft umgewandelt. Doch Deutschland liefert Faber – als deutschen Staatsbürger – nicht aus. Es wird inzwischen allerdings geprüft, ob die Haftstrafe auch in Deutschland abgesessen werden kann.
Auf den Fall Faber ging Gauck in seiner Rede nicht ein. Allerdings hatte er in einem Interview mit der niederländischen Zeitung de Volkskrant, welches am 5. Mai erschien, erklärt: „Ich habe großes Verständnis dafür, dass Menschen es als unerträglich empfinden, dass Klaas Carel Faber trotz der schlimmen Verbrechen, wegen derer er in den Niederlanden rechtskräftig verurteilt wurde, sein Leben in Freiheit verbringen konnte. Und ich begrüße es, dass die Vollstreckung der Strafe durch die zuständigen Justizbehörden erneut geprüft wird.“
Ein besonderer Gast
Die Rede zum Befreiungstag in den Niederlanden war somit eine diplomatisch schwierige Aufgabe für Gauck. Doch sie gelang. Gauck betonte nicht nur in der Rede selbst, sondern auch in einem anschließenden Interview mit dem niederländischen Fernsehsender NOS, wie dankbar er für die Einladung in die Niederlande sei: „Dass gerade die Niederlande, die sehr gelitten haben, unter der deutschen Herrschaft, und wo auch sehr lange schlechte Gefühle gegenüber Deutschland geherrscht haben, sich zu dieser Einladung durchgerungen haben, das hat mich wirklich - das haben viele Menschen ja auch gemerkt - tief bewegt.“
„Gauck war genau der richtige Deutsche, um diese Rede zu halten“, erklärte der Fernsehjournalist Theo Verbruggen, der für die NOS kurz nach der Lesung aus Breda berichtete. Auch der Radioreporter Mattijs van de Weil, lobte Gaucks Auftritt: „Gauck ist ein besonderer Gast“. Nicht nur Gaucks Eingangsworte der Dankbarkeit wurden von den Medien wahrgenommen, auch seine Bescheidenheit, nicht die eigenen Leistungen im Hinblick auf Freiheit– wie sein Widerstand in der DDR und seine führende Rolle bei der Stasi-Archiv-Aufarbeitung – anzuführen, kam gut an.
Genau wie Gaucks Demut zu Beginn der Rede, fand sein selbstbewusste Erläuterung, weshalb auch ein Deutscher am Befreiungstag eingeladen werden kann, Anklang: „Gerade weil wir Deutsche uns der Last und der Schuld der Geschichte gestellt haben, gilt für uns, gilt auch für mich: Wir feiern gemeinsam mit allen die Befreiung vom nationalsozialistischen Joch, wir feiern mit allen, die damals ihre Unabhängigkeit und Freiheit wiedererlangten. Und wir fühlen mit allen, die gerade heute in anderen Teilen der Welt die Freiheit entdecken oder wieder entdecken.“
Auch Gaucks Rückblick in die Geschichte, bei welchem er den Mut vieler niederländischer Freiheits- und Widerstandskämpferhonorierte, und sein Lob für den großen Februarstreik im Jahr 1941, gefiel dem niederländischen Publikum. „Bewunderung für niederländischen Widerstand 1941“, titelte das Reformatorisch Dagblad. Und das NRC Handelsblad druckte eine gekürzte Version der Rede des Bundespräsidenten unter der Überschrift „Deutscher Präsident Gauck: Februarstreik ist Lehre für die Gegenwart“.
Gelungene Geste
Den Blick in die Zukunft kombinierte Joachim Gauck mit einem Blick zurück auf die Leistungen der Europäischen Union, unter denen er auch die Freiheit aufzählte: „Vor 67 Jahren hätten wir den heutigen Zustand nur als paradiesisch empfinden können: Seit drei Generationen teilen Niederländer und Deutsche ihre Werte und setzen sich in Europa und der Welt für sie ein. Wir können stolz darauf sein, dass unsere Staaten seit Anbeginn Teil des geeinten Europas sind und in vielen Teilen der Welt als ehrliche und berechenbare Akteure geschätzt werden. Von Freiheit, Frieden und Wohlstand, die mit der verstärkten europäischen und internationalen Zusammenarbeit einhergehen, profitieren wir gemeinsam. Ich hoffe, dass dieser einzigartige Erfolg uns die Kraft gibt, auch die heutigen Herausforderungen zu meistern und Zukunft zu gestalten.“
Auch auf deutscher Seite hielt man Gaucks Rede für gelungen. Der deutsche Fernsehsender Phoenix übertrug die Rede live aus Breda. Studiogast Professor Friso Wielenga, Experte für die deutsch-niederländischen Beziehungen, beurteilte Gaucks Rede als "eine würdige, eine großartige Rede, in der er die richtige Mischung zwischen Gedenken und Zukunft gefunden hat". Zudem habe Gauck die Niederlande als „klein aber tapfer“ charakterisiert – ein geliebtes Selbstbild in unserem Nachbarland. Und Welt Online suchte sogar den Vergleich zum berühmten Kniefall von Warschau im Jahr 1970: „Es war kein Kniefall. Aber eine tiefe respektvolle Verneigung, nach der man einander wieder in die Augen blickt.“
Die verschriftliche Rede finden Sie unter bundespraesident.de