Nachrichten Juni 2012
SREBRENICA: Niederländischer Staat fühlt sich nicht verantwortlich
Den Haag. AF/IKVPC/NRC/SZ/TG/VK/. 27. Juni 2012.
Der niederländische Staat ist für den Tod dreier bosnischer Muslime 1995 in Srebrenica verantwortlich. So lautete das Urteil des Gerichtshofs Den Haag im Juli 2011. Gestern wurde der Richterspruch definitiv. Als Reaktion erklärte der niederländische Staat, man werde vor dem Obersten Gerichtshof des Landes gegen dieses Urteil in Berufung gehen.
„Dass der niederländische Staat im Srebrenica-Fall in Berufung geht, ist sein gutes Recht, aber es ist dennoch enttäuschend“, so Liesbeth Zegveld, die Anwältin der Angehörigen. Seit 2002 hatten die Hinterbliebenen von Rizo Mustafic, Elektriker bei Dutchbat, und Hasan Nuhanovic, Übersetzer, einen zivilen Prozess gegen den niederländischen Staat angestrengt. Ihr Vorwurf: Das niederländische Bataillon Dutchbat unter Kommandant Thom Karremans habe nach dem Fall der Enklave Srebrenica im Juli 1995 nichts unternommen, um das bosnische Personal der Dutchbat sowie deren Familien zu schützen. Der niederländische Staat berief sich hingegen auf die Immunität der Vereinten Nationen.
Im Urteil vergangenen Juli kamen die Richter zu dem Ergebnis, dass die niederländischen Truppen nicht nur im Auftrag der UN, sondern auch im Auftrag der niederländischen Regierung im Einsatz gewesen seien, weshalb Den Haag auch für ihr Verhalten gegenüber verantwortlich zu machen sei (NiederlandeNet berichtete).
Dass das Urteil des Gerichtshofes Den Haag vom Juli 2011 erst gestern endgültig getätigt wurde, hängt damit zusammen, dass der Gerichtshof in erster Instanz einen Richter von dem Fall abgezogen hatte. Die Angehörigen der drei getöteten Männer vermuteten dahinter einen taktischen Schachzug, der das Urteil beeinflussen sollte. Gestern erklärte das Gericht diesen Vorwurf für nicht gerechtfertigt, womit der Fall komplett abgeschlossen und das Urteil, wonach die Niederlande für die Handlungen der Dutchbat haftbar gemacht werden können, gültig war.
Der Anwalt der Niederlande bestreitet jedoch die Verantwortung des niederländischen Staates. Dutchbat, so die Argumentation, war Teil der UNPROFOR, der UN-Friedensmacht in Bosnien, und unterstand dem Befehl der Vereinten Nationen. Die Handlungen der Dutchbat müssen deshalb nicht den Niederlanden, sondern den Vereinten Nationen angekreidet werden. Dort hatte man bereits 2002 erklärt, man übernehme für die Vorfälle keine Verantwortung.
„Verpasste Chance“
Zegveld ärgert sich, dass die Niederlande nun wieder den Vereinten Nationen „den Ball zuspielt“. „So etwas sollte man nicht auf dem Rücken der Hinterbliebenen ausfechten“, so Zegveld. „Sollte der oberste Gerichtshof der Niederlande urteilen, dass die Niederlande für die Vorfälle nicht verantwortlich sind, dann impliziert das, dass die Vereinten Nationen haftbar sind. Aber es gibt keine Rechtsmittel um die UN haftbar zu machen.“
Auch die größte Friedensorganisation der Niederlande, IKV PaxChristi, welche die Angehörigen der getöteten Männer beim Prozess unterstützt, bedauert die Entscheidung des Staates, in Berufung zu gehen. Dies sei – erneut – eine verpasste Chance, so die Organisation. „So werden kurz vor dem 17. Jahrestag des Falls von Srebrenica, am 11. Juli, alte Wunden erneut aufgerissen.“
Die niederländische Regierung hat sich nie offiziell für die Geschehnisse in Srebrenica entschuldigt. Auf diesbezügliche Parlamentsanfragen Anfang dieses Jahres antworteten Außenminister Uri Rosenthal (VVD) und Verteidigungsminister Hans Hillen (CDA), die Regierung werde erst dann eine offizielle Entschuldigung aussprechen, wenn der Fall vor Gericht abgeschlossen sei.
Mladic-Prozess
Wie wichtig eine Stellungnahme des niederländischen Staates in dieser Sache ist, zeigt sich auch daran, dass das angestrebte Berufungsverfahren in den Niederlanden für genau so viel mediale Aufmerksamkeit gesorgt hat wie die Wiederaufnahme des Prozesses gegen Ratko Mladic. Wie letzte Woche bekannt wurde, wird der Prozess gegen den serbischen General Ratko Mladic vor dem UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag am 9. Juli wieder aufgenommen. Mladic soll die Hauptschuld für das Massaker an bis zu 8.000 muslimischen Männern und Jungen im Juli 1995 in Srebrenica tragen.