Nachrichten Juli 2012


DISKRIMINIERUNG: Partei SGP muss Frauen auf Kandidatenliste zulassen

Straßburg. TM/NRC/VK. 20. Juli 2012.

Die Funktionäre der radikalkonservativen und orthodox-calvinistischen niederländischen politischen Partei SGP haben erneut eine herbe Niederlage einstecken müssen. Wie heute bekannt wurde, hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGHM) in Straßburg eine Klage der Partei gegen den niederländischen Staat abgewiesen. Vertreter der SGP hatten sich vor dem europäischen Gericht gegen ein Urteil des niederländischen Hohen Rates (nl. Hoge Raad) aus dem Jahr 2010 geklagt, in dem Frauen das Recht eingeräumt wurde, entgegen der bisherigen Praxis auch in der SGP für Wahllisten kandidieren zu dürfen und leitende Funktionen in der streng christlichen Partei zu übernehmen. In einer ersten Stellungnahme der Partei wird die erneute Niederlage als „einschneidend“ und mit „weitreichenden Folgen“ nicht nur für die Partei selber gewertet.

Der EGMR als höchste mögliche Instanz war für die SGP nunmehr die letzte Möglichkeit, sich gegen die nationale Rechtsprechung zu wehren. Dieser Klage ging ein Urteil des obersten niederländischen Gerichtes, des Hohen Rates in Den Haag, voraus. Dieser bestätigte im April 2010 wiederum ein Gerichtsbeschluss des niederländischen Staatrates (nl. Raad van State) aus dem Jahr 2007, welcher festlegte, dass der Staat den konservativen und frauenfeindlichen Standpunkt der SGP nicht länger dulden darf und man Frauen das Recht eingestehen müsse, sich genauso wie Männer für die Partei bei Wahlen aufstellen zu lassen (NiederlandeNet berichtete). Bislang bezogen sich die Parteistatuten für eine Rechtfertigung ihrer Praxis auf die Bibel, welche die Vergabe von Ämtern nur an Männer vorenthalte. Eine normale Parteimitgliedschaft in der SGP ist seit 1996 zwar für Frauen erlaubt, es wird jedoch nur selten davon Gebrauch gemacht.

Bei ihrer jüngsten Klage gegen den niederländischen Staat hatte sich die SGP nun auf die Artikel 9, 10 und 11 der Europäischen Menschenrechtskonvention berufen, welche das Recht auf Religionsfreiheit, auf freie Meinungsäußerung sowie Versammlungsfreiheit eröffnen. Nach Ansicht des Gerichtshofes seien diese Freiheiten durch das Urteil des niederländischen Hohen Rates jedoch unberührt. Nach dem Urteil des EGHM wird sich nun wohl auch das niederländische Kabinett abermals mit der Causa SGP auseinandersetzen müssen. Nach dem Urteil aus dem Jahr 2010 hatte der damalige Innenminister Piet Hein Donner (CDA) zunächst beschlossen, die Partei bis zu einem Urteil von europäischer Seite nicht zu einer Öffnung der Kandidatenliste für Frauen zu zwingen. Diese Voraussetzungen haben sich jetzt geändert und könnten bereits Einfluss auf die vorgezogenen Wahlen zur Zweiten Parlamentskammer am 12. September haben. Bis zum 31. Juli haben die Parteien und Listen jeweils noch Zeit, ihre Kandidatinnen und Kandidaten für die Parlamentswahlen zu präsentieren. Laut eines Sprechers berät sich die geschäftsführende Innenministerin Lisbeth Spies (CDA) aktuell über die konkreten Folgen des europäischen Urteils. Jeder staatliche Eingriff in das Recht von politischen Parteien ist traditionell jedoch eine heikle Angelegenheit und deshalb eher ungebräuchlich.

Auch die SGP selber hat ausgesagt, sich das Urteil erst einmal genauer anschauen zu wollen. Erst dann könnte seitens der Parteiführung über mögliche Konsequenzen abgestimmt werden. Bereits jetzt befürchtet man aber, dass das Urteil der Straßburger Richter in der Praxis auch dazu führen wird, dass andere christliche Organisationen und Kirchen in Bedrängnis kommen werden: „Die Bedeutung dieses Prozesses übersteigt damit jene, die er für die Partei selber hat“, so die Parteiführung. Vertreter der SGP haben darüber hinaus immer betont, dass eine Anpassung ihres Frauenstandpunktes einen unzumutbaren Eingriff auf die Religions- und die Versammlungsfreiheit darstelle: „Das Urteil läuft darauf hinaus, dass der Gleichheitsgrundsatz jetzt als derart absolut erklärt wird, dass andere klassische politische und religiöse Freiheiten dadurch weggedrückt werden“, so eine erste Stellungnahme der Partei.

Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte kann hier nachgelesen werden.