Nachrichten Juli 2012


WAHLEN: PVV-Programm – Stimmungsmacherei, die funktioniert

Den Haag. AF/DR/FAZ/NRC/PVV/RP/TG/VK. 19. Juli 2012.

„Bei diesen Wahlen geht es allein um ein Thema“, so Geert Wilders im aktuellen Wahlwerbespot seiner Partij voor de Vrijheid (PVV): „Europa“. Statt wie die Jahre zuvor gegen den Islam zu hetzen, wettert der Rechtspopulist in der diesjährigen Wahlkampagne gegen die EU, den Euro und die Schuldenländer. Gleichgeblieben ist Wilders Anspruch auf Alleinherrschaft innerhalb der PVV. Dies machten ihm auch mehrere Fraktionsmitglieder zum Vorwurf und traten medienwirksam aus der Fraktion aus. Schmälern die Konflikte innerhalb der PVV wirklich Wilders Erfolgsaussichten bei den Wahlen im Herbst, wie manche Beobachter meinen?

Nordkoreanische Verhältnisse

„Die PVV steht für die Meinungsfreiheit. Doch in der PVV selbst gilt das nur für Geert Wilders und sein Politbüro“, kritisierte der PVV-Abgeordnete Wim Kortenoeven im Anschluss an die Pressekonferenz, auf der Wilders das Wahlprogramm der PVV „Hún Brussel, óns Nederland“ (dt.: Deren Brüssel, unsere Niederlande) vorstellte (NiederlandeNet berichtete). Wilders erwarte, dass seine Fraktion all seine Launen und Beschlüsse akzeptiere, so Kortenoeven. Wie sein Fraktionskollege Marcial Hernandez wolle er dies nun nicht länger mitmachen. Marcial Hernandez hatte Wilders Umgang mit den Medien zuvor als „nordkoreanisch“ kritisiert. Rücksprache mit der Fraktion halte Wilders nicht, für die Fraktionsmitglieder sei er überhaupt nur schwer zu erreichen. Ganz alleine habe Wilders beschlossen, die Gespräche über das Milliarden-Sparpaket scheitern zu lassen (und damit Neuwahlen zu provozieren). Das diesjährige, „idiotische“ Wahlprogramm der PVV, über das die Fraktionsmitglieder nur eine halbe Stunde flüchtig hätten hinweglesen dürfen, sei der Tropfen, der das Fass nun zum Überlaufen gebracht habe. Mit sofortiger Wirkung traten Hernandez und Kortenoeven deshalb vor laufenden Kameras aus der Fraktion aus. Sie stahlen damit dem eigentlichen Anlass der Pressekonferenz – dem PVV-Wahlprogramm – komplett die Show.

Wilders wiegelte ab, die beiden Abgeordneten hätten wohl befürchtet, auf der PVV-Kandidatenliste für die Wahlen am 12. September zu weit hinten zu landen. Der Austritt des PVV-Abgeordneter Jhim van Bemmel, einige Tage später, erfolgte tatsächlich aus diesem Grund. Er kündigte seinen Austritt auf dem Nachrichtendienst Twitter an: „Zwei Jahre harte Arbeit in der Zweiten Kammer nicht ausreichend von der PVV gewürdigt. Inzwischen habe ich mich auch abgespalten.“

An den Mitgliederzahlen der PVV ändert das nichts, denn diese Partei hat abgesehen von Geert Wilders gar keine Mitglieder. Damit soll nach Wilders Aussagen verhindert werden, dass die Partei von den falschen Leuten übernommen wird. Dieser Mangel an innerparteilicher Demokratie hatte bereits im März dieses Jahres zum Austritt des PVV-Abgeordneten Hero Brinkman geführt. Brinkman hatte versucht, die Partei zu demokratisieren und um eine Jugendorganisation zu ergänzen. Seine Kritik an der osteuropäerfeindlichen PVV-Website Meldpunt Midden- en Oosteuropeanen, war dann der Anlass, sich endgültig von der Fraktion zu verabschieden. Einem Rauswurf kam der Dissident durch seinen Fraktionsaustritt zuvor (NiederlandeNet berichtete).

„ Niederländische Freiheit, oder Brüsseler Sklaverei“

Wilders zeigt sich sowohl von den Parteiaustritten als auch von leicht sinkenden Umfragewerten unbeeindruckt und setzt im Wahlkampf voll auf die Angst vor der Europäischen Union. Diese bedeute nämlich längst nicht mehr Friede und Handelsfreiheit, sondern Machtverlust, Islamisierung und Verschuldung. Im Wahlprogramm heißt es, die Niederländer seien nicht mehr Herr im eigenen Haus, sondern Gast im eigenen Land, nicht länger imstande, die eigene Zukunft zu bestimmen, sondern machtloser Zuschauer einer un-niederländischen Politik.

Die Europäische Union habe bereits lange Schlagseite, und doch flössen weiterhin unzählige niederländische Milliarden in diese zum Untergang verurteilte Titanic. Während die Niederlande dank niederländischer Tugenden wie Sparsamkeit und Fleiß der größte Nettozahler der EU sei, wollten andere EU-Bürger – vor allem in Ost- und Südeuropa – „schnell in Rente, die Steuern hinterziehen und schön in der Sonne sitzen und ein Gläschen trinken. […] In Rumänien lachen sie sich über die dummen Holländer kaputt, die weiterhin Geld überweisen, in Griechenland stoßen sie mit einem Ouzo auf [die niederländischen Normalbürger] Henk und Ingrid an, in Bulgarien sind sie gerade froh, dass ihre Zigeuner zu uns umziehen.“ Überhaupt werde der Zuzug von Immigranten in die Niederlande durch die EU gefördert. Im Wahlwerbespot heißt es: „Die Niederlande haben kaum noch etwas bei ihrer eigenen Immigrationspolitik mitzureden. Brüssel bestimmt über unsere Grenzen.“ Jeden Tag kämen ganze „Flugzeugladungen chancenloser Ausländer“ in den Niederlanden an. In diesem Zuge nehme auch die Islamisierung der Niederlande immer weiter zu. „Dank der EU, die uns zwingt, die Grenzen offenzuhalten.“ Am 12. September müssten die Niederlande sich entscheiden: „Europhil, oder demokratisch. Niederländische Freiheit, oder Brüsseler Sklaverei. Freiwillige Zusammenarbeit, oder Barroso-Befehle. Der Euro oder der Gulden. Eigene Schlösser bauen, oder weiterhin Geld nach Griechenland überweisen.“

Warum so ein Video? Weil es funktioniert

Vor diesem Hintergrund wundert das Wahlversprechen der PVV, aus der EU und dem Euro auszutreten zu wollen, wenig. Verwunderlich sind für deutsche Beobachter hingegen die sehr gelassenen Reaktionen der Niederländer auf die rassistischen Ausführungen im Wahlprogramm der PVV. Es scheint kaum jemanden zu beunruhigen, dass die Partei, die bei der letzten Wahl drittstärkste Kraft in der Zweiten Kammer wurde, ihr Wahlprogramm mit Sätzen über arbeitsscheue und schmarotzende Ost- und Südeuropäer spickt. Nehmen unsere Nachbarn den wasserstoffblonden Populisten nicht ernst genug?

Johan Frentz, Kolumnist bei der Tageszeitung de Volkskrant, missbilligte als einer der wenigen den „infantilen“ Wahlwerbespot Wilders. Doch seine Kritik beschränkt sich größtenteils auf die unprofessionelle Machart und die übertrieben unheilvolle Musik. Den Inhalt nennt Frentz „Ablenkungsnonsens und Stimmungsmacherei“. Gleichzeitig lautet seine Antwort auf die rhetorische Frage, weshalb Wilders ein solches Video sendet: Weil es funktioniert. „Die Menschen haben schon lange vergessen, dass wir einen Haufen Geld an Europa verdient haben (und noch immer verdienen), dass wir ein gewisses Maß von friedlicher Harmonie auf diesem Kontinent erreicht haben, die alles andere als selbstverständlich ist. Die Leute sind sauer auf ihre Regierungschefs, wenn sich zeigt, dass diese so gut erzogen wurden, ihren Nachbarn zu helfen, wenn diese Probleme haben.“

Ob Wildersʼ Wunsch bei der kommenden Partei weiter zu wachsen, in Erfüllung gehen wird, ist zwar fraglich. Doch ob die PVV zurzeit tatsächlich im Sinkflug ist und ihre Wahlaussichten im Herbst wirklich so ungewiss sind, wie es mehrere deutsche Beobachter derzeit skizzieren, sei ebenfalls dahingestellt.