Nachrichten Januar 2012
FILM: Alternatives Kino in Rotterdam
Rotterdam. AF/RH/duitslandweb.de/filmfestivalrotterdam.com/NRC/TR/VK. 25. Januar 2012.
Heute beginnt das 41. internationale Filmfestival in Rotterdam (IFFR). Es zählt zu den größten internationalen Filmfestivals der Welt, die sich auf alternatives Kino spezialisiert haben. In Rotterdam erhalten junge und weniger kommerzielle Regisseure ein Podium. Das besondere Interesse gilt Filmen aus Ostasien und aus so genannten Entwicklungsländern. Doch auch deutschsprachige Filme sind wieder in Rotterdam vertreten. Das Festival läuft noch bis zum 5. Februar 2012.
„Nicht verpassen! Poetic daring weird hilarious sick film“, so wirbt das renommierte Filmfestival unter anderem dieses Jahr für sein Programm. Ausschließlich „gedurfde“ (dt. mutige) Filme werden dieses Jahr zu sehen sein, so die niederländische Tageszeitung de Volkskrant. „Und wir sind mit einem Publikum gesegnet, das auch wirklich wegen dieser mutigen Filme kommt“, so der Direktor des IFFR Rutger Wolfson.
Auch die mild-satirische Komödie „King Curling“ des Norwegers Ole Endresen, mit der das Festival heute Abend eröffnet wird, kann schon aufgrund seiner Themenwahl augenzwinkernd als mutiger Film betrachtet werden – schließlich gilt Vielen Curling als der langweiligste Sport der Welt. In kitschiger 70er und 80er Jahre-Szenerie überwindet der Anti-Held Trus Paulsen, gespielt von Atle Antonson, sich selbst und sportliche Tiefschläge.
Neben norwegischen Komödien hat das Festival aber auch brasilianische Trash-, Pulp- und Avant-Garde-Filme, asiatische Dokumentationen, restaurierte Perlen der Kinokunst, Kinderfilme in 3D, experimentelle Kurzfilme oder düstere europäische Werke wie zum Bespiel die französisch-belgische Koproduktion „38 Témoins“ (dt. 38 Zeugen) im Programm. Der Film des Regisseurs Lucas Belvaux ist tiefgehende psychologische Studie und beklemmender Krimi zugleich. Er handelt von 38 schweigenden Zeugen eines brutalen Mords in Le Havre. „Meistens weiß man in Filmen sofort, wer der Gute und wer der Böse ist. Hier wechselt das ständig“, erläutert Wolfson im Interview mit de Volkskrant.
Schwerpunkt China
Ein weiterer Schwerpunkt des Filmfestivals dieses Jahr ist China. Mit dem Programmteil „Hidden Histories“ wird die verborgene Seite der chinesischen Gesellschaft, die von Armut und Korruption geprägt ist, aufgedeckt. Die Dokumentationen wurden in den Provinzen des Landes gedreht und zeigen verschiedene menschliche Schicksale. Trotz des kleinen Budgets wird eine visuelle und inhaltlich starke Arbeit gezeigt.
Auch der berühmte chinesische Künstler Ai Wei Wei ist in diesem Jahr mit vier künstlerischen Videos und sechs sozialen Dokumentarfilmen vertreten. In einem seiner Filme tritt der berühmte Künstler, dessen Gefangenschaft durch die chinesische Diktatur im vergangenen Jahr weltweit für medialen Aufruhr sorgte, vor die Kamera. Er legt die Identität des Künstlers Ai Wei Wei ab und nimmt die Rolle eines Wissenschaftsjournalisten ein.
Perspektive eines Kindes
Kein offizieller Programmteil, aber dennoch gehäuft, finden sich Filme aus Kindersicht. „De jueves a domingo“, eine chilenisch-niederländische Koproduktion, zeigt Szenen einer Ehe aus der Perspektive des Kindes auf der Rückbank des Familienwagens. Neben diesem Roadmovie der jungen chilenischen Regisseurin Dominga Sotomayor, schauen auch die Lowbudget-Filme „Nana“ und „A la Cantábrica“ oder die Verfilmung des Romanklassikers „Wuthering Heights“ der britischen Schriftstellerin Emily Brontë durch die Augen Jugendlicher auf die Welt.
Meist geht es um Spannungen zwischen einer (manchmal nicht sehr) sorgenfreien und geborgenen Kindheit und der unübersichtlichen Welt „da draußen“. Die Eltern der meisten Protagonisten sind entweder geschieden, verschwunden oder gestorben, wodurch zum einen die heile Innenwelt beschädigt ist und zum anderen die beängstigende Außenwelt betreten werden muss.
Deutsche Filme
In den deutschen Filmen, die auf dem Festival zu sehen sind, so konstatiert das Onlineportal des Duitsland Instituut Amsterdam Duitslandweb, ginge es vor allem um „tragische Einsamkeit, Entfremdung und Desorientierung“. Ein Beispiel hierfür ist sicher „Ausreichend“, ein Film gemacht von Studenten der Kunsthochschule für Medien in Köln. Das Drama zeigt einen jungen, ambitionierten Lehrer der versucht, bei seinen Schülern besonders gut anzukommen und sich damit ins Aus schießt.
Auch der Film „Der Fluss war einst ein Mensch“ des jungen Regisseurs Jan Zabeil aus Potsdam ist eher schwere Kost. Darin verliert ein junger Deutscher, gespielt von Alexander Fehling, auf seiner Reise durch Afrika sowohl geographisch als auch seelisch die Orientierung. Bald kann er nicht mehr Einbildung von Realität unterscheiden. Ebenfalls in Afrika, genauer Südafrika, spielt die deutsch-südafrikanische Koproduktion „Gangster Project“. Ein junger weißer Filmemacher will einen Film über echte Gangster in Kapstadt drehen. Er sucht und findet seine Hauptdarsteller und von einer seltsamen Dokumentation verändert sich der Film zu einem realistischen, kurzen Spielfilm.
Herrlich fröhlich hingegen ist der deutsche Film „Hurdy Gurdy“. Miniaturansichten, die mit einer einzigartigen Kameralinse aufgenommen wurde, zeigen Städte, Menschen und Landschaften aus buntem Plastikspielzeug.
Kontrollwahn versus Sexspielzeug
Natürlich werden in Rotterdam auch Filme junger niederländischer Regisseure gezeigt. Vor allem die Kurzfilme zeigen, wie vielfältig die niederländische Gesellschaft doch ist. So porträtiert zum Beispiel „De Bunker“ die heutige Kontrollgesellschaft, indem er das Konzept der ‚Closed Architecture‛ vorstellt. Hierbei handelt es sich um einen neuen Typus von Gefängnis wie er der PVV-Politikerin Fleur Agema vorschwebt. Offenherzig hingegen gibt sich das Musikvideo „Elektrotechnique“, in welchem Haushaltsgeräte, die zu Sexspielzeug umfunktioniert wurden, zu der Musik der niederländischen Gruppe De Jeugd van Tegenwoordig tanzen.
Bei den Kurzfilmen ist auch eine deutsch-niederländische Koproduktion, „Bad Luck City“ zu sehen. Der niederländische Regisseur Aaike Stuart erzählt darin von der Melancholie eines urbanen Cowboys.
Mehr als Film
Neben Filmen kann der Filmfestival-Besucher in Rotterdam auch interaktive Filmexperimente erleben. So ermöglicht zum Beispiel die sogenannte „Home Movie Factory“ (dt. Heim-Film-Fabrik) des französischen Filmemachers Michel Gondry eine Mitarbeit an seinen Werken. Bei dem Internetprojekt BLA BLA von Vincent Morisset, der sich selbst als „web-friendly director“ bezeichnet, kann der Zuschauer ebenfalls zum Regisseur werden; bei dem Projekt der finnischen Filmkünstlerin Pilvi Takala wird er zum Schauspieler subversiver Szenen im öffentlichen Raum.
Das Filmfestival findet seit Juni 1972 statt und wuchst trotz finanzieller Schwierigkeiten Mitte der 1980er Jahre stetig. Zunächst hatte Rotterdam keinen Wettbewerb. 1995 wurden erstmals die Tiger Awards für die Erst- oder Zweitfilme junger Filmschaffender vergeben. Der Hubert Bals Fonds, benannt nach dem Gründer des IFFR, unterstützt zudem zwei Mal im Jahr ungefähr 25 Filmprojekte aus Entwicklungsländern.
Eine Eintrittskarte zum Preis von 11 Euro gibt es an der Tageskasse. Weitere Information zum Rotterdamer Filmfestival finden Sie auf der Website des Filmfestivals
Mehr über den niederländischen Film erfahren Sie auch in unserem Dossier Film in den Niederlanden.