Nachrichten Januar 2012
HOCHWASSER: Rund 800 Anwohner im Norden der Niederlande evakuiert
Groningen. TM/BD/NOS/NZZ/VK. 06. Januar 2012.
Nach tagelangen starken Regenfällen und den orkanartigen Unwettern der vergangenen Tage wurde in den Niederlanden am Mittwoch in verschiedenen Regionen Hochwasseralarm ausgerufen. Nachdem es bei Grou in der Provinz Friesland bereits gestern auf einem Deichstück von 200 Metern Länge zu einem Durchbruch gekommen war, besteht vor allem in dem Gebiet um Groningen im Norden der Niederlande das Risiko von Überschwemmungen mit verheerenden Folgen für Menschen und Tiere. Aus diesem Grund wurden heute Morgen in der Früh mehrere hundert Anwohner aus vier Dörfern evakuiert. Mittlerweile hat sich die Lage etwas entspannt, da der Pegel des Wassers überall abzunehmen scheint, die Situation bleibt jedoch auch weiter kritisch.
Die größte Sorge machte den niederländischen Behörden und Katastrophenhelfern die Lage am Eemskanal, welcher Groningen mit Delfzijl an der Emsmündung verbindet. Das Risiko, dass die dortige Uferbefestigung den Belastungen der vergangenen Tage nicht standhalten könne und trotz einer besonderen Verstärkung durch Sandsäcke nachgeben würde, war und ist hoch. Aus diesem Grund haben die zuständigen Behörden am frühen Freitagmorgen damit begonnen, die beiden Ortschaften Woltersum und Wittewierum sowie Teile von Ten Boer und Ten Post zu evakuieren. Dabei handelt es sich ganz klar um eine vorbeugende Maßnahme, wie Behördensprecherin Yvonne van Mastrigt gegenüber Pressevertretern sagte. Das wirkliche Risiko eines Erstfalls sei nur gering: „Ich bin mir darüber im Klaren, dass dies eine eingreifende Entscheidung ist, mit weitreichenden Folgen. Jedoch steht das Interesse der Sicherheit von Mensch und Tier an erster Stelle, weshalb ich gezwungen bin, diese Entscheidung zu treffen. Ich rechne auf die Mitarbeit aller betroffenen“.
Seit den Morgenstunden sind so etwa 800 Menschen in Sicherheit gebracht worden. Sie kamen entweder bei Verwandten oder aber in eigens dafür bereitgestellten Sporthallen in Groningen und Ten Boer unter. Dort ließen sich seit etwa sieben Uhr am Morgen die ersten Evakuierten registrieren. Gegenüber dem Nachrichtensender NOS erzählte einer der betroffenen, dass er gegen 5.30 Uhr in der Früh von Katastrophenhelfern aus dem Bett geklingelt wurde: „Mir war nicht bewusst, dass es so ernst war. Dann erschreckt man sich wohl. Man sieht so etwas wohl mal in den Nachrichten, aber jetzt passiert es hier.“ Bei einem Deichbruch, bei dem hunderte Hektar Land bis zu 1,5 Meter überflutet werden würden, wären auch die Häuser der Evakuierten in Gefahr gewesen. Neben den dort lebenden Menschen waren aber auch etliche Tiere akut bedroht gewesen, denn in dem Gebiet sind rund 2.000 Kühe und mehrere hundert Schafe zuhause. Etliche von ihnen kamen nun in leer stehenden Ställen in der gesamten Provinz oder auf anderen Bauernhöfen unter.
An den Hilfseinsätzen in der Region bei Groningen waren neben Mitarbeitern von Wasserbehörde und Feuerwehr auch Abgesandte der Mobilen Einheit – einer Art SEK – der Polizei sowie des Militärs beteiligt. Sie halfen beim Sichern und Verstärken der Deiche oder bei der Durchführung der Evakuierungen. Ein Abpumpen der sich anstauenden Wassermaßen war durch die widrige Wetterlage lange Zeit zunächst nicht möglich, durch das Ausbleiben neuer Niederschläge konnte heute Mittag jedoch mit dem Abpumpen und Ablassen des Wassers in das Wattenmeer begonnen werden. Zudem schien durch immer weniger nachströmendes Wasser bereits zuvor der Pegel langsam zu sinken. Die allgemeine Alarmiertheit der Helfer bleibt jedoch bestehen – noch heute kam die niederländische Luftwaffe einer Behördenanfrage aus dem bedrohten Gebiet nach und schickte am Nachmittag ein F-16-Kampfflugzeug in die Region, welches das Innere der Deiche mit einer Infrarotkamera inspizieren und überwachte.
Vor Ort in Woltersum und Lauwersoog war heute ebenfalls der zuständige Infrastrukturstaatssekretär Joop Atsma: „Die Lage ist außerordentlich erst“ begründete Atsma die Entscheidung, sich das Geschehen aus der Nähe anschauen zu wollen. „Wir müssen verhindern, dass wir uns dort gegenseitig im Weg stehen, aber ich möchte mir die Situation gerne anschauen“. Der Staatssekretär hatte zuvor dafür gesorgt, dass vier große Notpumpen in den Norden des Landes gebracht wurden, um gegen die Wassermassen eingesetzt zu werden.
Neben der Region um Groningen waren auch viele andere Teile des Landes durch ansteigende Pegel betroffen. So musste die Feuerwehr beispielsweise in Dordrecht vermehrt ausrücken, um vollgelaufenen Keller leer zu pumpen. In der Stadt stand das Wasser rund 2,35 Meter über Normalnull. Ebenfalls Sorge bereitete die Situation am Groninger Museum, dessen Gebäude in einem Kanal liegt und somit von Wasser vollständig umströmt ist. Hier besteht das Risiko, dass Wasser durch die Fenster nach innen drängt. Aus diesem Grund begann man gestern damit, die Exponate aus allen im Erdgeschoss befindlichen Räumen in das Dachgeschoss umzulagern. Das Museum blieb sodann heute den ganzen Tag geschlossen und soll für Besucher noch bis mindestens Dienstag nicht zugänglich sein.
Zum Wasser – vor allem zum Kampf gegen das Wasser – haben die Niederländerinnen und Niederländer ein besonderes Verhältnis: Rund ein Viertel ihres Landes liegt unter dem Meeresspiegel und 55 Prozent der Niederlande gelten als besonders überflutungsgefährdet. Mehr zu diesem Thema erfahren Sie in unserem Vertiefungstext Die Niederlande und das Wasser.