Nachrichten Februar 2012
PROZESS: Von Kriegsverbrecher Boere angeklagte niederländische Journalisten freigesprochen
Eschweiler. TM/duitslandweb.nl/Elsevier/Focus.de/RP/SPON/VK 10. Februar 2012.
Der im März 2010 zu lebenslanger Haft verurteilte NS-Kriegsverbrecher Heinrich Boere musste gestern erneut eine Niederlage vor Gericht einstecken. Die Staatsanwaltschaft Aachen hatte die beiden niederländischen TV-Journalisten Jan Ponsen und Jelle Visser angeklagt, im Jahr 2009 unerlaubt Aufnahmen mit einer versteckten Kamera von dem ehemaligen SS-Mann mit deutsch-niederländischen Wurzeln gemacht und diese später in der niederländischen Fernsehsendung EenVandaag ausgestrahlt zu haben. Obwohl geheime Tonaufnahmen durch die deutschen Gesetze verboten sind, kam es für die beiden Journalisten zu einem Freispruch. Boere trat in diesem Prozess als Nebenkläger auf.
Ponsen und Visser wurden von der deutschen Staatsanwaltschaft beschuldigt, einen Hausfriedensbruch und eine Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes begangen zu haben – Straftaten, welche von einem Gericht mit einer Gefängnisstrafe von maximal drei Jahren bestraft werden können. Der durch Scharen von Journalisten beider Länder verfolgte Prozess im deutschen Eschweiler war bereits der zweite Versuch des ehemaligen Bergarbeiters Boere, die beiden niederländischen Fernsehmacher zu verklagen. Bereits zuvor hatte der verurteilte Kriegsverbrecher Klage vor dem niederländischen Journalistenrat eingereicht. Doch auch dieser sprach die beiden Journalisten frei. Das gesellschaftliche sowie das journalistische Interesse würden schwerer als das Persönlichkeitsrecht der bereits 1949 in Amsterdam verurteilten Kriegsverbrechers Boere wiegen.
Urteil kam nicht ganz überraschend
Während der Gerichtsverhandlung wurden die zehnminütigen Aufnahmen aus dem Jahr 2009 noch einmal allen im Gerichtssaal Anwesenden gezeigt. Und genauso wie die niederländischen Fernsehzuschauer 2009 sahen die Prozessbeobachter einen in keinster Weise Reue zeigende Heinrich Boere, der im Rollstuhl sitzend mit seinen beiden niederländischen Besuchern im Altenheim über sein Leben spricht. Über das Leben anno 2009, aber auch das Leben während des Krieges: „Befehl ist Befehl“, so Boere während des Films. Nach Aussage der beiden niederländischen Journalisten haben sie durch ihre Aufnahmen den Mörder Boere als Menschen zeigen wollen. Zuvor getätigte Versuche, ein offizielles Fernsehinterview mit Heinrich Boere zu führen, waren erfolglos geblieben. Da das Informationsinteresse der niederländischen Öffentlichkeit laut Ponsen und Visser jedoch derart groß war, hätte man sich für eine Aufnahme mit einer versteckten Kamera entschieden. Unwissend, dass derart erschlichene (Ton-)Aufnahmen nach deutschem Recht grundsätzlich nicht erlaubt sind.
Am Ende der gestrigen Verhandlung lautete das klare Urteil „Freispruch“. Dies kam nicht überraschend, hatte doch zuvor auch die Staatsanwaltschaft Boere zu einer „Person der Zeitgeschichte“ und die ohne Zustimmung aufgenommenen Tonaufnahmen als „historisches Dokument“ ernannt und für einen Freispruch plädiert. Richter Gisbert Fuchs bezog sich bei seiner Urteilsbegründung zum einen auf das Urteil des niederländischen Journalistenrates und bewertete die Information der Öffentlichkeit in dieser Sache für wichtiger als die Privatsphäre des Betroffenen. Zum anderen erkannte Fuchs für die beiden angeklagten Journalisten mildernde Umstände an, da beide angeblich nicht wissen konnten, dass sie durch ihre heimlichen Filmaufnahmen gegen deutsches Recht verstoßen würden.
Bei der Verkündung des Urteils waren unter den vielen Vertretern der Öffentlichkeit auch Vertreter des niederländischen wie des deutschen Journalistenverbandes im Gerichtssaal angewesend. Nach Ende des Prozesses zeigte sich der Vorsitzendes des deutschen DJV, Michael Konken, zufrieden mit dem gefällten Urteil, er hätte selbst aber auf eine andere Urteilsbegründung gehofft: „Im Fall von NS-Greueltaten zählt die Aufklärung mehr als die Privatsphäre der Täter“, so Konken. „Es wäre wünschenswert gewesen, wenn das Gericht sein Urteil darauf gestützt hätte.“ Konkens niederländischer Kollege Thomas Bruning vom niederländischen Journalistenverband war von dem gesamten Prozess ebenfalls wenig begeistert: „Journalisten vor einem Strafgericht, nur weil sie ihre Arbeit gemacht haben, das gehört sich eigentlich nicht“, so Bruning ins Mikrofon von EenVandaag. Bereits vor der Urteilsverkündung meldete sich auch der WELT-Kolumnist Henryk M. Broder zu Wort. In einem ins Niederländische übersetzten Artikel mit der Überschrift „Journalisten werden verfolgt, Neonazis nicht“ in der Tageszeitung de Volkskrant griff Broder die Justizbehörden an: „Wenn die EenVandaag-Journalisten sich wegen der Schändung der Privatsphäre eines dreifachen Mörders verantworten müssen, wird deutlich, wann sich die deutsche Justiz für eine Verfolgung stark macht, und wann nicht.“
Der Fall Heinrich Boere
Boere, dessen Vater Niederländer und dessen Mutter eine Deutsche war, trat 1940 der Waffen-SS bei. Er wurde Mitglied des SS-Kommandos „Silbertanne“, welches von 1943 bis 1944 mindestens 54 Morde begangen haben soll. Gedacht waren diese Morde als Vergeltungsmaßnahme: Anschläge des Widerstands auf niederländische Kollaborateure wurden mit der Ermordung von je drei anti-deutsch gesinnten Niederländern aus der Region vergolten. Bereits 1949 war Heinrich Boere in seiner Abwesenheit in Amsterdam für diese Morde verurteilt worden. Die angesetzte Todesstrafe wurde allerdings in eine lebenslange Haft umgewandelt. Zuvor war Boere 1947 jedoch aus einem niederländischen Kriegsgefängnis nach Deutschland geflohen. Durch seine deutsche Mutter konnte er die deutsche Staatsbürgerschaft erlangen, die ihn vor einer Auslieferung schützte (NiederlandeNet berichtete).
Von der deutschen Justiz war Heinrich Boere jahrzehntelang unbehelligt geblieben – geschützt als deutscher Staatsbürger durch einen Erlass Adolfs Hitlers. Angeklagt wurde er dann auch erst 2007. Im Jahr 2009 folgte vor dem Landgericht Aachen schließlich die Verurteilung zu einem lebenslangen Gefängnisaufenthalt (NiederlandeNet berichtete). Während des gut ein halbes Jahr lang dauernden Prozesses war Boere durchaus geständig: „Als einfacher Soldat lernte ich, Befehle zu befolgen und ich wusste, dass, wenn ich dies nicht täte, ich meinen Eid brechen würde und selbst erschossen werden könnte“, so Boere damals. Seit Dezember 2011 sitzt Heinrich Boere nunmehr in einem deutschen Gefängniskrankenhaus ein. Bei dem gestern gefällten Urteil vor dem Amtsgericht Eschweiler war Boere nicht anwesend.