Nachrichten Dezember 2012


TODESFALL: Niederländischer Fußball im Schockzustand [UPDATE]

Almere/Den Haag/Zeist. /DT/NOS/SPON/TS/TR. 05. Dezember 2012

Nach einem B-Jugend-Spiel zweier niederländischer Fußballklubs ist es am Sonntag zu einem Gewaltausbruch auf einen Linienrichter gekommen. Der ehrenamtlich tätige 41-Jährige Richard Nieuwenhuizen wurde nach Ende der Partie von drei jugendlichen Spielern der Gastmannschaft verfolgt und sah sich Tritten und Schlägen ausgesetzt und erlag am Montag seinen Verletzungen. Während die Ermittlungen von Polizei und Staatsanwaltschaft mittlerweile auf Hochtouren laufen, wird in den Niederlanden eine heftige Diskussion über Gewalt von Jugendlichen geführt. [UPDATE, 06. Dezember 2012, : Neben einer Gewaltdebatte stehen die Niederlande durch den Migrationshintergrund der mutmaßlichen Täter nun zudem vor einer erneuten Integrationsdebatte.]

Das Spiel zwischen den Buitenboys Almere und Nieuw Sloten Amsterdam ging am Sonntag 2:2 aus. Wie der Almerer Vereinsvorstand Rob Mueller berichtete, kam es bereits während des Spiels mehrmals zu unruhigen Szenen innerhalb der Gastmannschaft aus Amsterdam, welche nach dem Spiel in dem zügellosen Gewaltausbruch mündete. Nach Darstellung von Zeugen verfolgten zwei 15-Jährige sowie ein 16-Jähriger nach dem Schlusspfiff den flüchtenden Linienrichter, bis sie diesen eingeholt hatten. Sie griffen den Unparteiischen an, schlugen und traten auf ihn ein, bis er am Boden lag. Zuschauer eilten dem Angegriffen eilig zu Hilfe und warfen sich zwischen den Linienrichter und die drei Angreifer. Richard Nieuwenhuizen konnte sich anschließend wieder erheben, sammelte sich und ging zum Vereinsheim. Erst Stunden später sackte er auf einmal zusammen, woraufhin man einen Notarzt verständigte und den Schiedsrichter in ein örtliches Krankenhaus brachte. Dort fiel er in ein Koma, was die Ärzte dazu veranlasste, den Patienten in eine neurologische Spezialklinik zu verlegen. Alle Bemühungen blieben jedoch ohne Erfolg – am Montag war Richard Nieuwenhuizen klinisch tot und man beschloss, die Geräte abzustellen.

Die drei Jungen, die auf den Linienrichter eingeprügelt haben sollen, wurden unterdessen verhaftet. Ihnen wird Todschlag, Misshandlung sowie die Ausübung öffentlicher Gewalt zur Last gelegt. Und auch für die Mannschaft der drei B-Jugend-Spieler gab es Konsequenzen: Ihr Fußballklub Nieuw Sloten Amsterdam hat die Jugendlichen ausgeschlossen und das Team aus dem Rennen um die Meisterschaft genommen. „Es hinterlässt große Narben bei jedem, der fußballbegeistert ist“, so Bernhard Fransen, Vorsitzender des Amateurzweiges des niederländischen Fußballverbandes KNVB auf einer Pressekonferenz am Dienstag. Die Tat der Jugendlichen hat nicht nur die niederländischen Fußballanhänger tief berührt, auch der Rest des Landes ist von dem Vorfall tief bestürzt. „Unglaublich, dass so etwas passieren kann“, sagte Marcel Oost, Vorsitzender des SC Buitenboys Almere dann auch deutlich getroffen in die Mikrofone der Medien. Weit über die Landesgrenzen hinaus wird unterdessen von der Presse über die Gewalttat in Almere berichtet. Und auch Sepp Blatter, Vorsitzender des Weltfußballverbandes FIFA äußerte sich tief geschockt zu dem Vorfall in den Niederlanden. Es sei „eine schreckliche Tragödie“, die dort am Sonntag passiert sei. „Fußball ist ein Spiegel der Gesellschaft und leider kommen dieselben Übel, die die Gesellschaft heimsuchen, auch in unserem Spiel vor“, so Blatter. Geht es nach ihm, dann muss der Sport zukünftig vermehrt mit positiveren Beispielen arbeiten, um Menschen gegen die deutlich gewordenen Missstände zu erziehen.

Ähnlich wie auch in Deutschland ist eine zunehmende Aggression im Sportbereich und speziell im Amateurfußball in den Niederlanden immer stärker zu beobachten. Insgesamt wurden dort im vergangenen Jahr 74 Spieler lebenslang von der Ausübung der Sportart ausgeschlossen, so viele wie noch nie zuvor. Unlängst wurden zudem strengere Strafen und eine landesweite Telefonnummer für gewalttätige Zwischenfälle eingeführt. Nach Ansicht des niederländischen Ministers für Sicherheit und Justiz, Ivo Opstelten, reichen diese Maßnahmen aber noch nicht aus. Seiner Meinung nach müssen die Fußballklubs sowie der KNVB selber ebenfalls schärfer gegen Aggressionen auftreten. Den Tod des Linienrichters dürfen sie nach Ansicht des Ministers „nicht kleinreden und nicht als einmaligen Zwischenfall sehen. Dafür sei es zu ernst. Der Vorfall steht nicht alleine dar, da spielen viel mehr Dinge eine Rolle. […] So etwas passiert nicht vom einen auf den anderen Tag.“ Die drei arrestierten Gewalttäter müssten mit harter Hand angepackt werden, um so ein Beispiel dafür zu geben, wie die Aggressionen im Amateurfußball zukünftig weiter gezügelt werden können, so Opstelten.

[UPDATE, 06. Dezember 2012, : Spätestens seit Mittwoch beherrscht neben der generellen Gewaltdebatte noch eine weitere die niederländische Öffentlichkeit. Seitdem nämlich über die Boulevardzeitung De Telegraaf bekannt wurde, dass es sich bei den prügelnden Jugendlichen um solche mit einem marokkanischen Migrationshintergrund handeln soll. Als einer der ersten nahm der niederländische Rechtspopulist Geerd Wilders dies zum Anlass für eine Erneute Abrechnung mit jenen Bevölkerungsgruppen, die keine westlichen Wurzeln haben: „Man spricht über ein Fußballproblem, obwohl dies das wirkliche Problem verhüllt. Es ist kein exklusives Fußballproblem aber ein Marokkanerproblem, welches sich auf der Straße, im Einkaufszentrum oder auf dem Fußballfeld zeigt. Eine große Mehrheit der marokkanischen Jugendlichen wurde schon einmal von der Polizei verhaftet“, der der Chef der Freiheitspartei PVV. Der Rechtspopulist gibt so bewusst den Tabubrecher, indem er den von anderen Medien zuvor verschwiegenen Migrationshintergrund bewusst zum Thema macht. Der Tod des Linienrichters Richard Nieuwenhuizen wird somit zu einem „Härtetest für die Niederlande“, wie es der Tagesspiegel gestern schrieb. Der Vorfall könnte die Integrationsdebatte in den Niederlanden nun wieder entfachen und einen „Stresstest für die politische Kultur im Land“ bedeuten, so der Tagesspiegel weiter. Dies auch vor den Hintergrund, dass sich der niederländische Jugendfußball immer mehr zu einem hauptsächlich von Migranten betriebenen Sport entwickelt. Alleine beim B-Jugend-Team des SV Nieuw Sloten zeugen 90 Prozent der Spielernamen von einem Migrationshintergrund.]

Wenige Tage nach Bekanntwerden des Todes von Richard Nieuwenhuizen befinden sich viele Niederländer bezüglich des Gewaltaktes unterdessen immer noch in einem Schockzustand. Als nächste Schritte hat der KNVB Dienstag nun zunächst beschlossen, dass 35.000 Ligaspiele der Amateure, die am kommenden Wochenende stattfinden sollten, abgesagt werden. An deren Stelle sollen die lokalen Klubs ihre Türen öffnen und die aktuellen Ereignisse diskutieren. Wohl stattfinden werden die Spiele der Profis, bei denen mit einer Schweigeminute und Trauerflor an den toten Linienrichter gedacht werden soll. In Almere selbst ist für Sonntagnachmittag zudem ein Schweigemarsch zum Klubhaus geplant, um dem Toten zu gedenken. Auf dem Vereinsgelände liegt seit Dienstag zudem ein Kondolenzbuch aus.