Nachrichten April 2012


PLÄNE: Wie die Fraktionen 14 Milliarden Euro einsparen wollen

Den Haag. TM/NOS/VK. 26. April 2012.

Auf einmal ging dann alles sehr schnell. Innerhalb von 48 Stunden hat eine Koalition aus fünf Parteien sich auf Einsparungen von 14 Milliarden Euro verständigen können. Das, was die gescheiterte Minderheitsregierung von Mark Rutte aus VVD und CDA gemeinsam mit dem Duldungspartner PVV von Geert Wilders in sieben Wochen nicht erfolgreich abschließen konnte, ist nun geglückt. Noch heute kann der geschäftsführende Finanzminister Jan Kees de Jager einen Brief mit einem Konzept für ein Stabilitätsprogramm an die Europäische Kommission in Brüssel schicken. Am Montag läuft dort für die Niederlande eine Frist ab, nach der das Land einen Plan vorlegen muss, wie es das prognostizierte Haushaltsdefizit von 4,5 Prozent auf die Maastricht-Stabilitätsnorm von 3 Prozent zurückführen will. Über die neuesten Entwicklungen aus Den Haag zeigte sich der dortige Währungskommissar Olli Rehn heute am späten Nachmittag dann auch sehr erfreut. Die Einigung über Einsparungen sei ermutigend, so Rehn.

Seit gestern saßen Vertreter der Fraktionen von VVDCDA, D66, GroenLinks und ChristenUnie gemeinsam mit Jan Kees de Jager im Fraktionssaal der D66 zusammen, um sich auf ein gemeinsames Konzept zu verständigen. Nachdem am Nachmittag bekannt wurde, dass man sich einig geworden war (NiederlandeNet berichtete), mussten die Ergebnisse jeweils noch von allen beteiligten Fraktionen bestätigt werden. Dies ging bei VVD, CDA, D66 und ChristenUnie vergleichsweise schnell, GroenLinks brauchte jedoch etwas länger. Gegen kurz vor halb sieben konnten aber auch deren Mitglieder öffentlich bestätigen, dass man sich einstimmig für das Konzept ausgesprochen hat. Um 19.30 Uhr dann fanden alle beteiligten Verhandlungspartner vor den versammelten Medienvertretern wieder zusammen und beglückwünschten sich gegenseitig. Jolante Sap (GroenLinks) zeigte sich dabei sehr zufrieden, „den rechten Wind“ nun gedreht zu haben und sprach von einem grünen und sozialen Ergebnis. Arie Slob (ChristenUnie) sagte in die Mikrofone, dass er entsetzlich froh darüber sein, dass auch seine Partei in dieser Zeit der Krise Verantwortung übernehmen konnte. Sein CDA-Kollege Sybrand van Haersma Buma zeigte sich darüber froh, dass „bei den Parteien ein sehr großes Bewusstsein darüber bestand, dass sie über ihren eigenen Schatten springen mussten“. Froh war auch Mark Rutte, als ihn die Nachricht der erfolgreichen Gespräche erreichte. Er pries Finanzminister Jan Kees de Jager und die fünf Fraktionsvorsitzenden für ihre ausgezeichnete Leistung. Es sei sehr wichtig, dass die Kosten nicht den folgenden Generationen überlassen würden und man zudem auf den Finanzmärkten sieht, dass die Niederlande mit dieser Art von Problemen fertig werden können.

Geplante Einsparungen

Konkret setzen sich die angepeilten Einsparungen von 14 Milliarden Euro aus vielen einzelnen Posten zusammen. Dabei sollen einige der zuvor geplanten starken Kürzungen auch wieder zurückgedreht werden. Auf Einschnitte müssten sich die Bürger so zum Beispiel beim Mehrwertsteuersatz machen, der von 19 auf 21 Prozent hochgesetzt werden soll. Eine höhere Belastung soll es auch bei der Pendlerpauschale geben, bei der insgesamt 1,2 Milliarden Euro eingespart werden sollen. Weniger ausgeben will man zudem bei den Beamtengehältern, die man 2013 einfrieren will. Und auch der Immobilienmarkt würde nicht unangetastet bleiben. Mieten sollen zukünftig marktkonform werden, die Wohnungsbauförderung für neue, ablösungsfreie Hypotheken einkassiert und die Grunderwerbssteuer bei 2 Prozent bleiben. Eine Milliarde Euro an noch nicht näher konkretisierten Kürzungen sind für den Gesundheits- und Pflegebereich angedacht. Und auch Rentner sollen zukünftig höher belastet werden: die Erhöhung des Renteneintrittsalters soll schneller durchgeführt werden. Geplant sind zudem höhere Genusssteuern auf Alkohol und Tabak, eine Nicht-indexierung der Steuersätze, eine teurere Eurovignette für den Frachtverkehr, ein spezieller Krisensteuertarif für die höchsten Einkommen sowie zusätzliche Steuern für Kohlekraftwerke. Verschlechterungen sind auch für Arbeitgeber und Arbeitnehmer vorgesehen. Erstere sollen die ersten sechs Monate des Arbeitslosengeldes zukünftig selbst zahlen. Letztere müssten mit einer Lockerung des Kündigungsrechtes rechnen. Ein (teilweises) Zurückrudern soll es nach Ansicht der Fünferkoalition bei den zuvor angedachten Einsparungen bei der Pflegeversicherung, der Ausbildung von körperlich oder geistig behinderten Kindern und bei Gerichtskosten geben. Auch bei der Entwicklungshilfe würden 75 Millionen Euro nicht gekürzt. Weniger Steuern sind für Solaranlagen sowie Kunstveranstaltungen angedacht und das Ressort Umweltpolitik soll 200 Millionen Euro mehr Geld bekommen.

Sehr entgegen kam dem Bündnis der fünf Fraktionen bei ihrem Kompromiss natürlich die Ergebnisse der Koalitionsverhandlungen aus den vergangenen sieben Wochen, auf die sie sich stützen konnten. Ansonsten hätte es so schnell auch nicht zu einem positiven Ergebnis kommen können, meint der Politikwissenschaftler Philip van Praag in einem Interview mit de Volkskrant: „Es ging jetzt wohl sehr schnell. Innerhalb von 48 Stunden liegt ein Paket auf dem Tisch. Es gab natürlich schon sehr viel Vorarbeit, die verrichtet wurde, das macht natürlich einiges aus. Trotzdem, wenn man bedenkt, dass eine Kabinettsformation drei bis sechs Monate dauern und die gescheiterten Haushaltsberatungen jetzt sieben Wochen in Anspruch genommen haben und noch missglückt sind, ist es sehr schnell gegangen. Ich habe dies noch nie zuvor mitgemacht.“ Van Praag gibt allerdings auch zu bedenken, dass es überhaupt nicht sicher ist, dass die beschlossenen Maßnahmen später auch wirklich umgesetzt werden: „Die Maßnahmen müssen wohl noch in Gesetze umgesetzt werden. Und es ist überhaupt die Frage, ob nach den vorgezogenen Neuwahlen im September dieselben Parteien auf der Regierungsbank sitzen.“

Reaktionen auf die nun veröffentlichen Pläne hat es bereits von Seiten der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen gegeben. Das Konzept sei „mutig und gut für die Niederlande“, so die Arbeitnehmerverbände in einer Stellungnahme: „Die niederländische Politik lässt sich hier mit ihrer Zusammenarbeit in schwierigen Zeiten von ihrer besten Seite sehen.“ Jaap Smid von der Gewerkschaft CNV gab sich über das schnelle Ergebnis und den Eifer aller Beteiligten überrascht, „aber in dem Paket stehen wohl eine Anzahl von Posten mit üblen Folgen für ziemlich viele Menschen“. Ebenfalls nicht zufrieden war der sozialdemokratische Fraktionsvorsitzende Diederik Samsom, der nicht mit am Verhandlungstisch gesessen hatte und bis zuletzt das Stabilitätskriterium von drei Prozent für nicht heilig bezeichnet hatte. Laut Samsom würde der vorliegende Kompromiss die Lasten nicht gleichwertig aufteilen. Als Beispiele nannte er dabei Polizisten und Lehrer, die auch von der Einfrierung der Beamtengehälter betroffen wären, die Erhöhung des hohen Mehrwertsteuersatzes und die vorgezogene Erhöhung des Renteneintrittsalters.