Nachrichten April 2012


REGIERUNG: Neuwahlen in den Niederlanden in Sicht [UPDATE]

Den Haag. TM/NOS/Trouw/VK. 21. April 2012.

Die Koalitionsverhandlungen zwischen Vertretern von niederländischer Minderheitsregierung und ihrem Duldungspartner, die seit Anfang März andauerten, sind heute Nachmittag für gescheitert erklärt worden. Gemeinsam haben der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte (VVD), Wirtschaftsminister Maxime Verhagen (CDA) sowie der Duldungspartner der Regierung, der Rechtspopulist Geert Wilders (PVV), fast sieben Wochen lang darüber verhandelt, wie zukünftig noch mehr Geld eingespart werden kann, um auch im nächsten Jahr unter der von der EU festgesetzten Nettoneuverschuldung von drei Prozent des BIP (EU-Konvergenzkriterien) zu bleiben. Erwartet wurde für 2013 bei einer Fortführung des aktuellen Haushalts ein Minus von 4,5 Prozent. Heute wurde deutlich, dass man sich über die unausweichlichen Milliardeneinsparungen nicht einig werden konnte. Ministerpräsident Rutte gibt dabei der PVV von Geert Wilders die Schuld für das Scheitern. Nun scheint der Weg zu Neuwahlen unausweichlich zu sein.

Haushaltseinsparungen in Höhe von 16 Milliarden, das war das große Ziel der Gespräche im Catshuis, der Dienstwohnung des Ministerpräsidenten in Den Haag. Nun scheint die ganze Arbeit der vergangenen Wochen für Nichts gewesen zu sein: „Wir waren sehr weit“, sagte dann auch Mark Rutte in einer provisorischen Pressekonferenz, die er am Nachmittag gemeinsam mit Maxime Verhagen und zwei Stellvertretern anberaumt hatte. [UPDATE, 21. April 2012, 23:50, TM: Konkret hatten sich die drei Verhandlungspartner wohl bereits über Einsparungen in Höhe von 14,2 Milliarden Euro verständigt. Eine Summe, die nach Aussage des VVD-Politikers und Mitverhandlers Stef Blok für ein Zurückdrängen der Neuverschuldung auf 2,8 Prozent des BIP gesorgt hätte. Einig war man sich bereits über folgende Maßnahmen: das Heraufsetzen der Mehrwertsteuer von 19 auf 21 Prozent, die Anhebung des Renteneintrittsalters auf 66 Jahre ab 2015, das Einfrieren von Beamtengehältern, Einsparungen im Gesundheits- und Pflegebereich (eigene Zuzahlung von 9 Euro pro Arztrezept), Kürzungen in der Entwicklungshilfe sowie Abschaffung der Wohnungsbauförderung für neu abgeschlossene Hypotheken.]

Der Schuldige für das Scheitern der Verhandlungen war sowohl für Mark Rutte als auch für Maxime Verhagen klar zu benennen: „Die Hoffnung, dass die Niederlande in absehbarer Zeit aus der Krisen finden können, ist durch die PVV dem Erdboden gleichgemacht worden“, so Maxime Verhagen. Wilders habe nach Ansicht des Wirtschaftsministers in der letzten Sekunde die Reißleine gezogen und 16 Millionen Niederländer im Stich gelassen. Der Ministerpräsident sagte nicht weniger vorwurfsvoll, dass Wilders und seine Partei sich trotz der gemachten Kompromisse vor den Konsequenzen ihrer Entscheidung gefürchtet und so diesen Weg gewählt haben.

Und auch Geert Wilders äußerte sich gegenüber der Presse. In einem Statement, in dem er erklärte, ab sofort nicht mehr als Duldungspartner zu fungieren, legte er dar, warum er die im Catshuis gemeinsam entwickelten Einsparpläne nicht unterstützen könne. So seien die geplanten Maßnahmen schlecht für das wirtschaftliche Wachstum, schlecht für Rentnerinnen und Rentner sowie schlecht für die Kaufkraft. In der Form könne er das seinen Wählern nicht verkaufen. Mit dem jetzigen Scheitern könne er seinen Wählern jedoch „geradewegs in die Augen schauen“. „Dieses Paket würde vor allem die Bürger treffen, obwohl wir viel mehr bei den Beamten einsparen sollten“, so Wilders. Außerdem sehe er es überhaupt nicht ein, warum man um jeden Preis auf die von der EU geforderten drei Prozent Neuverschuldung hinarbeiten solle: Dem „Diktat von Brüssel“ wollte er nicht zustimmen.

Wie es jetzt in den Niederlanden weitergehen wird, wird sich spätestens Anfang der kommenden Woche zeigen. Für Montag habe man bereits eine Sondersitzung des Ministerrates angesetzt, so Rutte heute Nachmittag. Auch habe der Premier Königin Beatrix als das niederländische Staatsoberhaupt pflichtgemäß über die aktuelle Sachlage informiert. „Neuwahlen sind ein auf der Hand liegendes Szenario“, so Rutte gegenüber der versammelten Presse. Dies bedeutet wohl, dass das Kabinett jetzt so schnell wie möglich Seine „Kündigung“ bei der Königin einreichen wird. Nach einer der jüngsten Meinungsumfragen des Instituts Maurice de Hond vom 15. April kann die VVD von Ministerpräsident Rutte wiederum mit der meisten Zustimmung (31 von 150 Parlamentssitzen) rechnen. Dahinter folgen die sozialistische SP (28), die sozialdemokratische PvdA (24), die PVV von Geert Wilders (20), die liberale D66 (15) und dann erst die noch-Regierungspartei CDA (14). Die jetzige Duldungskonstruktion aus VVD, CDA und PVV käme somit zusammen nur noch auf 65 Sitze und würde Mehrheit somit um ganze 11 Sitze verfehlen.

Zu Neuwahlen wird es nach Ansicht der Onlineausgabe der Tageszeitung de Volkskrant aber wohl erst nach der parlamentarischen Sommerpause im September kommen. Offiziell können ab 84 Tagen nach dem offiziellen Fall der Regierung Neuwahlen ausgerichtet werden. Normalerweise finden in den Sommerferien aber keine Wahlen statt. Aus diesem Grund wird die aktuelle Minderheitsregierung wohl vorerst als demissionäres Kabinett weiterregieren und auch die Verantwortung für den Haushalt 2013 tragen, der laut Verfassung im September ausgearbeitet sein muss. In jedem Fall ist sie dabei nun auf die Mitarbeit der Oppositionsparteien in der niederländischen Zweiten Kammer angewiesen.

[UPDATE, 21. April 2012, 22:30, TM: Wie Trouw berichtet, könnte die Niederlande das Scheitern der Verhandlungen viel Ansehen auf den internationelen Märkten und so eventuell auch ihren AAA-Status kosten. Bereits vor Bekanntwerden des Scheiterns war übr eine Herabstufung des Landes spekuliert worden (NiederlandeNet berichtete). „Die Märkte werden hiervon sehr nervös. Die Zinsen aus Staatsanleihen steigt und wenn deutlich wird, dass diese Steigerung strukturell ist, kommen die Kreditexperten und Rating-Agenturen mit ihren Abwertungen“, so der Finanzökonom Sylvester Eijffinger gegenüber der Nachrichtenagentur ANP. „Dies kostet die Niederlande den AAA-Status. Wir folgen dann Frankreich und Österreich“, so der Hochschullehrer weiter. Eine erste Reaktion der großen Ratingagenturen Moody's, Standard & Poor's sowie Fitch auf die jüngsten Entwicklungen in den Niederlanden blieb unterdessen jedoch aus. Dort wollte man sich am Samstag noch nicht äußern. Keine konkreten Aussagen gab es auch von Seiten der EU-Kommission. Wie eine Sprecherin des Kommissionsvorsitzenden José Manuel Barroso jedoch bestätigte, folge man in der Kommission den aktuellen Entwicklungen in den Niederlanden sehr genau. Die Kommission ist innerhalb der EU mit der Überwachung der Konvergenzkriterien betraut.]