Nachrichten April 2012


Wirtschaft: Microsoft verlegt Logistik von Deutschland in die Niederlande [UPDATE]

Düren. AF/golem.de/NOS/Spiegel/VK/Welt Online/Zeit. 03. April 2012.

Der multinationale Softwarehersteller Microsoft verlegt seine europäische Distributionszentrale vom nordrhein-westfälischen Düren in die Niederlande. Grund dafür ist die Klage der Motorola-Tochter General Instrument Corporation über die Verletzung zweier Patente, welche für Microsoft das Risiko birgt, dass im deutschen Logistikzentrum nicht weitergearbeitet werden kann. Damit wirkt sich die klägerfreundliche Patent-Rechtsprechung in Deutschland zum ersten Mal direkt auf den Wirtschaftsstandort Deutschland aus.

„Deutschland ist bekannt dafür, dass Patentinhaber hier gute Erfolgsaussichten haben“, so der Müncher Professor Joachim Henkel, Spezialist für Technologie und Innovationsmanagement, gegenüber der Wochenzeitung Die Zeit. Kaum eine Woche vergehe in Deutschland ohne ein Patentverfahren in der IT-Industrie. Das Land sei ein zentraler Schauplatz für die Patentkriege von Weltkonzernen wie Apple, Samsung, Motorola oder Microsoft, denn in keinem anderen Industrie-Staat können die Kläger so leicht Verkaufsverbote erzielen wie in Deutschland.

Opfer dieses Krieges werden nun die rund 50 Angestellten der Bertelsmann-Tochter Arvato, die bisher große Teile der Software-Lizenzlogistik gemanagt und Hardware wie die Spielekonsole X-Box versendet haben. Obwohl Microsoft mit der Arbeit Arvatos sehr zufrieden sei, wird nun ein niederländischer Dienstleister die Aufgabe übernehmen. An welchen Standort in den Niederlanden Microsoft umziehen will, steht noch nicht fest. Allerdings muss der Umzug bis zum 17. April geschehen sein, dann nämlich fällt das Urteil im aktuellen Patentverfahren. [UPDATE, 13. April 2012, TM: Mittlerweise hat ein US-amerikanisches Gericht im Bundesstaat Washington es Motorola vorläufig untersagt, eine einstweilige Verfügung für ein Verkaufsverbot von Microsoft-Produkten in anderen Ländern anzustreben. Dies wirkt sich auch auf den aktuell laufenden Prozess in Deutschland aus. Erst wenn Motorola, so das US-Gericht, das eigene Versprechen eingelöst hat, die strittigen Patente zu fairen Preisen an andere Hersteller zu lizensieren, könne der Konzern weiter gegen Microsoft vorgehen. Dem Softwarehersteller drohen nach Aussage der Richter „irreparable Schäden“, wenn es wirklich zu einem Verkaufsverbot kommen würde. Für den Fall, dass Motorola von einem anderen Gericht doch noch Recht bekommt, dass es in Deutschland weiter juristisch gegen den Konkurrenten vorgehen kann, muss Microsoft nun einen Betrag von 100 Millionen US-Dollar hinterlegen, der anschließend an Motorola gehen würde.]

Konkret geht es darum, dass General Instrument Corporation von Microsoft Lizenzgebühren in Höhe von 2,25 Prozent des Gerätepreises für jedes Gerät verlangt, das H.264-Videos abspielen kann. Dieser Standard wird vor allem für Webvideos verwendet. Patente, ohne die ein Standard nicht umgesetzt werden kann, müssen eigentlich zu so genannten FRAND-Konditionen lizensiert werden, eine Abkürzung für fair, reasonable und non-discriminatory – doch in Deutschland gibt es bei der Umsetzung dieser Regeln eine Besonderheit. Demnach soll der Nutzer eines Patents dem Patentinhaber von sich aus ein faires Angebot unterbreiten und den entsprechenden Geldbetrag hinterlegen. Erst wenn der Patentinhaber das Angebot ablehnt und damit seine Marktmacht missbraucht, handelt er nach deutschem Recht missbräuchlich. Das niederländische Patentrecht ist hingegen weniger Patentinhaber-freundlich. Die Gerichte dort greifen nicht so schnell zu Verkaufsverboten wie in Deutschland, so das Nachrichtenmagazin Der Spiegel, vor allem nicht, wenn es um Patente zur Umsetzung von technischen Standards geht.

„Motorolas Klage bringt uns in eine Situation, in der wir nicht anders handeln können“, so Microsoft-Sprecher Thomas Baumgärtner gegenüber Welt Online, „wir fürchten eine ernsthafte Störung des Geschäftsablaufes.“ Ganz unberechtigt sind Microsofts Sorgen nicht. Samsung konnte sein Galaxy Tab 10.1 monatelang nicht auf den deutschen Markt bringen, weil das Samsung-Modell das iPad von Apple in „unlauterer Weise“ nachahme. Auch Apple musste einen Tag lang den Online-Verkauf einiger Modelle seiner iPhones und iPads aussetzen. In Microsofts Umzug in die Niederlande sehen Kritiker des deutschen Patentrechtes deshalb den Beginn langfristiger negativer Folgen, welche die deutsche Patentrechtsprechung für den Standort Deutschland haben könnte.