Nachrichten November 2011
DROGENPOLITIK: „Marihuana-Pass“ zum 1. Januar 2012 landesweit?
Maastricht. AF/DS/MA/NRC/NRC.Next/Rijksoverheid.nl/SZ/TR/VK. 24. November 2011.
Vergangenen Dienstag sprach sich der Gemeinderat Maastricht dafür aus, dass der geplante „Marihuana-Pass“ nicht zuerst nur im Süden der Niederlande, sondern landesweit am selben Datum eingeführt werden soll. Nach Plänen des Justizministers Ivo Opstelten (VVD) dürfen südniederländische Coffeeshops ab 1. Januar 2012 ihre Ware nur noch an Kunden mit einem entsprechenden Ausweis, dem so genannten „Wietpas“, verkaufen. Coffeeshops im Landesinneren hingegen müssten erst im Laufe des Jahres zu geschlossenen Klubs werden.
Die beiden Regierungsparteien VVD und CDA hatten bei Amtsantritt festgelegt, den freien Verkauf von weichen Drogen in den Niederlanden in Zukunft stärker einzuschränken. Nach ihren Plänen, sollen alle Coffeeshops im Lande zukünftig Privatklubs werden. Einen Klubausweis erhalten demnach nur volljährige Personen mit Wohnsitz in den Niederlanden. Dies soll den Drogentourismus eindämmen (NiederlandeNet berichtete).
Den Anfang sollen nun die südniederländischen Provinzen Zeeland, Noord-Brabant und Limburg machen, doch hier regt sich Widerstand. „Maastricht will nicht zum Versuchsfeld für den Pass werden“, berichtete de Volkskrant vergangenen Montag. Im selben Artikel wurde die Vorsitzende der PvdA-Fraktion im Maastrichter Gemeinderat, Manon Fokke, mit den Worten zitiert, man fürchte, die Coffeeshopbesitzer würden die Gemeinde für die entstehenden Einkommensverluste verantwortlich machen. Zudem erwarte man mit der Einführung des „Marihuana-Passes“ eine Zunahme des illegalen Drogenhandels auf der Straße. Hier müsse der niederländische Staat die Kosten für die zusätzlich benötigten Polizeikräfte übernehmen. Maastricht sei generell gegen die Einführung eines solchen Passes, doch wenn er schon komme, dann wenigstens überall im Land gleichzeitig.
Letzterem widerspricht die Regionalzeitung Maastricht Aktueel, der zufolge vier lokale Parteien, nämlich der CDA, die Senioren Partij Maastricht, die VVD und die Liberale Partij Maastricht, den „Marihuana-Pass“ so schnell wie möglich einführen wollen. „Maastricht kann und will nicht länger der Haschischlieferant für ganz Europa sein.“
„Wir denken ja, dass die Störungen und die Kriminalität zunehmen werden“
Welche Folgen der Wietpas in der Praxis haben könnte, zeigt die jüngste Initiative der Maastrichter Coffeeshopbesitzer. Bisher reisten jedes Jahr 2,2 Millionen Ausländer ausschließlich zum Marihuanakonsum in die Stadt an der Maas. Seit dem 1. Oktober dieses Jahres jedoch hat die Vereinigung der Offiziellen Coffeeshops Maastricht (VOCM) allen Personen, die nicht in den Niederlanden wohnen, den Zutritt zu den Coffeeshops der Gemeinde verwehrt. Eine Ausnahme wurde nur für Deutsche und Belgier gemacht, weil diese Nachbarn schon immer sehr eng mit der Stadt verwoben gewesen seien. Nach den Gründen für diese Maßnahme gefragt, erklärte Marc Josemans, Vorsitzender der VOCM gegenüber der Volkskrant: „Wir beugen uns damit dem Druck der Politik in den Niederlanden. Wir werden aber untersuchen, ob die Maßnahme zu einer Zu- oder Abnahme der Lärmbelästigungen und Unruhe in der Stadt führt. Wir denken ja, dass die Störungen und die Kriminalität zunehmen werden. Und es wird sicher noch schlimmer, sobald der Wietpas eingeführt wird.“
Inzwischen liegen erste Untersuchungsergebnisse vor: Innerhalb eines Monats gingen die Kundenzahlen der Coffeeshops um 16 Prozent zurück. Auf ein ganzes Jahr umgerechnet, ist dadurch ein Einkommensrückgang für die ganze Stadt Maastricht von 30 Millionen Euro zu erwarten. Der Einzel- und Großhandel hätte laut der Untersuchung ca. 17 Millionen Euro weniger Umsatz im Jahr, Cafés und Restaurants müssten mit 8 Millionen weniger Umsatz rechnen.
Die Zunahme der Kriminalität und des Straßenhandels wurde zwar nicht empirisch untersucht, doch auf Nachfrage von NiederlandeNet, bestätigte die VOCM, dass die Maastichtenaren eine Zunahme von „ungewünschten Nebeneffekten“ beobachtet haben. So wendeten sich zehn Maastrichter „Stadtteil-Plattformen“ (buurtplatforms) Anfang November mit dem Aufruf an die VOCM, die Zugangsbeschränkung zu den Coffeeshops wieder abzuschaffen. Buurtplatforms kümmern sich um Probleme in den einzelnen Stadtgebieten und versuchen, den Zusammenhalt der Stadtteilbewohner zu fördern. Sie ließen die VOCM wissen, dass es seit dem 1. Oktober mehr Straßenhändler und so genannte drugsrunner gäbe - Personen, die auf der Suche nach potentiellen (ausländischen) Drogenkäufern sind. Zudem habe sich die Drogenszene stärker in die Außenbezirke Maastrichts verlagert. "Angesichts dieser Tatsachen [...] sehen wir uns gezwungen, die VOCM an ihr Versprechen [...] zu erinnern, die bewusste Aktion - sobald sie zu ungewünschten Nebeneffekten führe - [...] unmittelbar abzubrechen."
Paradigmenwechsel in der niederländischen Drogenpolitik
In der niederländischen Drogenpolitik vollzieht sich offensichtlich gerade ein Paradigmenwechsel. Mit ihrer Duldungspolitik, die ganz pragmatisch Drogenhandel und -konsum in gewissem Maße erlaubte, um beides damit unter Kontrolle zu halten, wurden die Niederlande weltweit als liberales, fortschrittliches Land bekannt. Der Wietpas, so die Befürchtung seiner Gegner, könnte jetzt einen Rückschritt bedeuten.
Gegenüber der Rundfunkanstalt NOS erklärte Eberhard van der Laan, Bürgermeister von Amsterdam, mit der Einführung des „Marihuana-Passes“ würden die alten Zustände von vor 30 Jahren wieder hergestellt. Der Handel verlagere sich wieder auf die Straße. Zudem entfalle damit eine Qualitätsprüfung des Marihuanas sowie die Alterskontrolle der Kundschaft, wie sie jetzt noch durch die Coffeeshops geschehe. Neben der Ungewissheit, wer den Pass herausgeben wird, beschäftigt den Einzelhandel vor allem die Frage, wie sich das Passsystem in der Praxis gestaltet – schließlich darf weiterhin jeder in einem Coffeeshop einen Kaffee konsumieren.
Doch die Regierung lässt sich von gegnerischen Argumenten und Zweifeln in ihrer restriktiveren Drogenpolitik nicht beirren. Bereits im Oktober hatte das konservative Kabinett Cannabis mit einem THC-Gehalt von 15 Prozent oder höher, zur harten – und damit illegalen Droge –erklärt, die nicht mehr verkauft werden darf. Es folgte damit der Empfehlung einer vom Gesundheitsministerium einberufenen Expertenkommission, die im Juni einen Bericht vorgelegt hatte, wonach der Konsum von Marihuana mit mehr als 15 Prozent THC-Gehalt ein unvertretbar hohes Suchtrisiko und die Gefahr schwerer Psychosen mit sich brächten.
Wer mehr über die niederländische Drogenpolitik erfahren möchte, dem sei unser Vertiefungstext "Drogenpolitik in den Niederlanden" empfohlen.