Nachrichten Juni 2011



KULTUR: Nächtlicher Protestmarsch gegen Einsparungen

Rotterdam/Den Haag. AKS/TR/VK. 28. Juni 2011.

Eine etwas andere Form des Protests fand in den Niederlanden am vergangenen Sonntagabend in Rotterdam statt, als mehrere hundert Menschen in einem nächtlichen Protestmarsch auf die Straße gingen. Grund hierfür waren einmal wieder die Einsparungspläne der niederländischen Regierung im Kulturbereich. Unter dem Motto „Mars der Beschaving“ (dt. „Marsch der Kultur“) machten sich rund tausend Kunstliebhaber und Künstler von Rotterdam aus auf den Weg in das etwa 30 Kilometer entfernte Den Haag. Hier fand am Montag auf dem Demonstrationsplatz Malieveld eine Abschlusskundgebung mit mehreren Protestaktionen und Reden statt. Die Organisierenden schätzen, dass sich zwischen 7.000 und 10.000 Menschen an der Demonstration in Den Haag beteiligten.

Bei dem Protestmarathon handelte es sich nicht um den ersten Aufschrei des kulturellen Sektors. Schon im vergangenen November demonstrierten 100.000 Menschen gegen die Sparpläne der Regierung Rutte (NiederlandeNet berichtete). Diese Pläne belaufen sich auf Sparmaßnahmen im Wert von rund 200 Millionen Euro; betroffen hiervon sind vor allem kleinere Kulturorganisationen. Topeinrichtungen, die sogenannten „Kulturperlen“, sollen weitestgehend von den Einsparungen verschont bleiben. Damit wendet sich Halbe Zijlstra, Staatssekretär für Kultur, gegen die Empfehlung des Raad voor Cultuur (dt. Rat für Kultur), dem offiziellen Beratungsorgan der niederländischen Regierung auf dem Gebiet von Kunst, Kultur und Medien. Ebenfalls entgegen der Empfehlung des Rates richtet sich Zijlstras Beschluss, die Einsparungen bereits 2013 in die Tat umsetzten zu wollen. Geplant war ursprünglich, dass die Einschränkungen erst im Jahr 2014 in Kraft treten.

Damit hat Zijlstra abermals den Unmut der Kunstszene auf sich gezogen. Auf dem Malieveld in Den Haag versammelten sich gestern neben bekennenden Kunstliebhabern auch zahlreiche Künstler. Besonders kritische Worte fand der aktuelle „Dichter des Vaterlands“ Ramsey Nasr (NiederlandeNet berichtete). In seinem Aufruf an Ministerpräsident Mark Rutte wählte der niederländisch-palästinensische Dichter harte Worte gegenüber Halbe Zijlstra. Er bezeichnete diesen als „Ork“ und plädierte an die Vernunft des niederländischen Premier: „Ich weiß genauso wie Sie: In ganz Europa wird gespart. Ich stehe hier auch nicht um die Einsparungen rückgängig zu machen. Was muss, das muss. Aber wissen Sie, was ich so verrückt finde? Nur bei uns, in den Niederlanden, wird ein Mann, der noch nie einen Fuß ins Theater gesetzt hat und sich öffentlich als Kulturhasser profiliert, Staatssekretär für diesen Sektor. Nur im Bereich Kultur setzen Sie einen Ork ein.“ Nasr betonte in seiner Rede, die vollständig in der niederländischen Tageszeitung de Volkskrant zu finden ist, dass es ihm nicht um „Kunst“ ginge: „Nein, es geht nicht um Kunst. Es geht um unsere Kultur. Um das, was die Niederlande sein müssten. Für dieses Kabinett ist Kultur nicht länger die Basis einer Zivilisation, es ist ein schönes Extra, ein Spielchen. Es geht heute nicht um Kunst. Dieses Kabinett reißt den Menschen aus uns weg. Wir Bürger, jeder – wir können sparen, tiefgreifend und schmerzlich. Aber wir wollen das auf eine ehrliche Art und Weise tun, und mit Liebe zu unserer Kultur und unserem Land.“

Nicht ganz so harte Worte, aber dennoch überaus kritisch, äußerten sich auch zahlreiche Politiker gegenüber den Plänen der Regierung. Besonders die Oppositionsparteien PvdA, SP und D66 sprechen sich gegen die Sparmaßnahmen Zijlstras aus: „Das Kabinett zerstört die Künste und der Staatssekretär macht das im Eiltempo. Der Ton der von ihm und dem Ministerpräsidenten angeschlagen wird, ist frostig und kalt“, wird Kammermitglied Jette Klijnsma (PvdA) in der niederländischen Presse zitiert. Gerade die Verschonung der Topeinrichtungen stößt hierbei auf Widerstand: „So wird Kunst wieder nur ein Sektor für die Elite“, sagte Klijnsma. „Man kann ruhig von einer kulturellen Zerstörung sprechen“, findet auch Kammermitglied Jasper van Dijk von der SP. Zwar räumen auch die Oppositionsparteien ein, dass das Land sparen müsse, dennoch auf eine andere Art und Weise: „Wenn gespart werden muss, dann auch im Bereich Kunst und Kultur, aber dann in einem guten Verhältnis. Die Kunst ist ein verletzbares Bäumchen, das man nicht mit einer Motorsäge schneiden darf“, erklärte D66-Politiker Boris van der Ham diesbezüglich.

Hinsichtlich der Demonstrationen gegen die geplanten Sparmaßnahmen im Kultursektor hatte am gestrigen Montag noch eine Debatte in der Zweiten Kammer zu diesem Thema stattgefunden. Während dieser waren sowohl von der Opposition als auch aus den eigenen Reihen der Regierung mehrere Änderungsanträge eingereicht worden, die jedoch allesamt von Staatssekretär Zijlstra zurückgewiesen wurden. „Das Kabinett wird auch weiterhin großzügig in die Kultur investieren“, erklärte Zijlstra zu Beginn der Debatte. „Es ist nicht so, dass das Kabinett kein Geld für Kultur ausgeben will. Wir wollen nur eine Wende und treffen schmerzhafte Entscheidungen.“ Er rief die Kultureinrichtungen nachdrücklich dazu auf, zusammenzuarbeiten und die eigene Gewinnmarge zu vergrößern. Darüber hinaus sicherte Zijlstra den Parteien zu, Geld das an anderen Stellen übrig bleiben könnte, dem kulturellen Sektor zur Verfügung stellen zu wollen.