Nachrichten Dezember 2011
KULTUR: Amsterdamer Regisseur inszeniert das Stück Edward II an der Schaubühne Berlin
Berlin. RH/BSB/TS/FAZ/FR/suite101.de/toneelgroepamsterdam. 20. Dezember 2011.
Der Regisseur Ivo van Hove ist seit zehn Jahren Direktor der Amsterdammer Theatergruppe Toneelgroep Amsterdam. Zurzeit verwandelt er das Drama Edward II aus dem Jahr 1592 von Christopher Marlowe, einem englischen Dichter und Dramatiker des elisabethanischen Zeitalters, in eine Gefängnislandschaft. Hinter Gittern verwischen die Grenzen der Moral: Misshandlung und Mord, die auf der Bühne stattfinden, bringen die Zuschauer an ihre moralischen Grenzen. Die zweistündige Premiere fand am 17. Dezember 2011 im Theater Berliner Schaubühne statt.
Mit dem König von England Edward II ist das Land umringt von Feinden – Schottland, Irland, Dänemark und Frankreich belauern das Reich und seinen König und warten auf Schwäche. Doch Edward (gespielt von Stefan Stern), König von England, ist verliebt in Gaveston (gespielt von Christoph Gawenda), der aus dem französischen Exil zurückgeholt wurde und ein ranghohes Amt erhält. Ein König, der nicht in den Krieg ziehen will, seine Gattin verschmäht und die Krise Englands ignoriert, muss zwangsläufig die Wut des Adels auf sich ziehen und so regt sich Widerstand im Reich. Ein Bürgerkrieg beginnt und es dauert nicht lange, bis Edward sowie der gesamte Hofstaat gefangen genommen wird.
Die Inszenierung des Regisseurs Van Hove mit einem reinen Männerensemble zeigt das elisabethanische England als einen Gefängnistrakt. Es gibt acht käfigartige Einzelzellen mit Pritschen, die kaum verschlossen sind und eher gesellschaftliche Vereinzelung und Isolation symbolisieren sollen. Vorne ist ein gemeinschaftlicher Aufenthaltsbereich mit Betonbank und weiter hinten sind Dusch- und Sportmöglichkeiten für die Insassen sowie eine Schaltkanzel, von der aus ein Uniformierter die automatische Ein- und Aufschlussanlage betreibt und Überwachungskameras ansteuert. Die Insassen bewegen sich trotz Kontrolle frei – sie koalieren, intrigieren, kopulieren und morden. Der junge König Edward kauert fast nackt mittendrin auf seiner Pritsche, träumt von vergangenem Glanz und seinem Liebhaber Gaveston. Das Geschehen auf der Bühne wird auf eine angebrachte Monitorwand aus zwölf Flachbildschirmen übertragen. Der Regisseur Ivo van Hove und sein Bühnenbildner Jan Versweyveld haben offenbar ein Faible für technische Anlagen. Laut der Frankfurter Rundschau wurde während der Aufführung viel Technik eingesetzt. Musikeinspielungen, Lichteffekte, Wasser- und Nebel-Einleitungen überlagern das Stück aber teilweise, hieß es. Den verschiedenen Abschnitten des Handlungsverlaufes wurden verschiedene Überschriften zugeteilt, die in großen Lettern auf der Bühnenwand zu lesen waren und zudem mit einem lauten Geräusch oder Musik eingeleitet wurden.
In der Originalfassung von Marlowe ist Edward II ein Drama, bei dem das Panorama der historischen Hintergründe nicht mehr vorrangig ist, sondern der Charakter des Herrschers selbst. Marlowe zeigt einen Staat, der auf seinen Untergang zutreibt, in dem Macht und Recht nur leere Floskeln sind und der in seiner Willkür grausam und absurd erscheint. Marlowe schildert eine Gesellschaft, die von Brutalität beherrscht wird und in der sich private und politische Interessen und Allianzen ständig verlagern. Die deutsche Tageszeitung FAZ beschreibt die Inszenierung Van Hoves als „spiegelglatt“ und „unterkühlt“, einerseits aufgrund des Bühnenbildes von Jan Versweyveld andererseits durch die Banalität des Bösen und des Modells eines politischen Ausnahmezustandes worin staatliche Rechtssysteme in juristische Grauzonen auflösen. Van Hove zeigt eine dunkle, gesetzlose Anti-Welt, in der die Liebe machtlos ist.
Der ursprünglich aus Belgien stammende Regisseur Ivo van Hove (1958) begann seine Karriere im Jahr 1981 als Theaterregisseur mit Produktionen aus eigener Hand. Von 1998 bis 2004 leitete er das Holland Festival, wo jährlich eine große Auswahl von internationalen Theaterproduktionen mit Musik, Oper und Tanz präsentiert wird. Im Jahr 2001 wurde Van Hove Regisseur des berühmten, niederländischen Theaterensembles Toneelgroep Amsterdam. Die Produktionen Van Hoves wurden bereits in zahlreichen Theatern und auf Theaterfestivals weltweit gespielt: dem Edinburgh International Festival, der Biennale von Venedig, dem Holland Festival, dem Theater der Welt, der Wiener Festwochen sowie in verschiedenen Theatern in London, Kanada, Lissabon, Paris, Verona, Hannover, Porto, Kairo, Polen und New York. Van Hove übernahm ebenso die Regie des Ensembles des Deutschen Schauspielhaus Hamburg oder des Staatstheaters Stuttgart. Regelmäßig erhält der Regisseur Auszeichnungen für seine Theaterproduktionen.
Nach der heutigen Vorstellung an der Berliner Schaubühne kann die Vorstellung Edward II auch vom 19. bis zum 22. Januar 2012 besucht werden. Mehr Informationen finden Sie hier auf der Internetseite der Berliner Schaubühne.