Nachrichten Dezember 2011



ARCHITEKTUR: „Wir Architekten werden als Helden gefeiert, dabei ist Erniedrigung unser Alltag.“

Hamburg. RH/Der Spiegel/Die Zeit. 15. Dezember 2011. 

In einem Interview mit der deutschen Zeitschrift Der Spiegel, das am Montag diese Woche stattfand, sprach der weltweit bekannte niederländische Stararchitekt Rem Koolhaas (67) über sein neues Buch Project Japan, das seit kurzem in englischer Sprache im Taschenverlag in Köln herausgegeben wird.  Der berühmte Niederländer zeigt sich enttäuscht von dem neuen europäischen Großprojekt der Hamburger HafenCity. Laut Koolhaas führe die Kombination von kommerziellen Impulsen und bürokratischen Regeln zu einen unbefriedigenden Ergebnis in der Architektur.

1975 gründete Koolhaas das Architektenbüro OMA. Bereits 1978 erlangte er mit seinem ersten Aufsatz Delirious New York mit einem Mal große Aufmerksamkeit und wurde als Architekturtheoretiker gefeiert. 1996 weckte ein zweiter Aufsatz von Koolhaas das Interesse der Öffentlichkeit – Die Stadt ohne Eigenschaften. Auch im Spiegelinterview griff die Koryphäe auf dem Gebiet der Architektur dieses Essay wieder auf. „Diese Städte funktionieren wie Flughäfen: Die immer gleichen Geschäfte sind an den immer gleichen Stellen. Alles ist über die Funktion definiert, nichts über die Geschichte. Das kann auch befreiend sein“, sagte der berühmte Niederländer. Auch die Immigration macht er für die gesichtslosen Städte verantwortlich und gibt an, dass es in einem Zeitalter der „massenhaften Immigration“ auch zu einer „massenhaften Ähnlichkeit“ der Städte kommen muss. Es sei einfacher für Migranten durch gesichtslose Städte wie Dubai, Singapur oder eben die HafenCity zu laufen als durch Städte mit mittelalterlichen Stadtkernen, da diese nichts als Ausschluss und Zurückweisung ausstahlen würden. Die Stadt ohne Eigenschaften sei frei von eingefahrenen Mustern und Erwartungen. Es seien Städte, die keine Forderungen stellen und dadurch Freiheit schaffen.

Das zentrale Thema seines neuen Buches Project Japan ist eine im Westen relativ unbekannte japanische Architektengruppe – Die Metabolisten. 1960 wurden sie von der japanischen Regierung beauftragt die strukturellen Schwächen des Landes, durch Erdbeben, Tsunamis und Parzellierung zu bekämpfen. Die Gruppenmitglieder waren Individualisten, wie es unter Architekten üblich ist; der Zwang zum Wettbewerb lässt sie zu Einzelkämpfern werden. Die Metabolisten agierten darüber hinaus jedoch als Gruppe, wodurch sich ihre Besonderheit auszeichnet.

Im Interview mit der Zeitschrift Spiegel gewinnt der Leser den Eindruck, dass Koolhaas – charakterisiert als "fast zwei Meter groß, drahtig, kahler Kopf, Gesicht wie ein Raubvogel" – eine starke Persönlichkeit ist, die die Journalisten auch gerne mal mit Sätzen wie „Ich habe das Gefühl, Sie brauchen von mir weniger ein Interview als eine Therapiestunde“, verunsichert.

Zurzeit plant Koolhaas das neue Sendegebäude für das chinesische Staatsfernsehen in Peking. Mit 470.000 Quadratmetern ist es das zweitgrößte Bürogebäude der Welt. Viel bringt auch viel. „Je größer die Nutzfläche ist, desto besser lässt sie sich vermarkten. Das hat dazu geführt, dass in China Gebäude mit einer Geschossfläche von einer halben Million Quadratmetern schon fast der Standard bei neuen Projekten ist“, sagte der Stararchitekt unlängst in einem Interview mit der wöchentlich erscheinenden Zeitung Die Zeit. Größere Gebäude waren fast immer sakralen Zwecken vorbehalten, später kamen Paläste und Parlamente hinzu und ein Gebäude war stets einer bestimmten Nutzung zugeordnet. Das änderte sich im 20. Jahrhundert, als die Amerikaner das Hochhaus erfanden. Plötzlich gab es Gebäude, die so groß waren, dass sie viele Aktivitäten und Funktionen gleichzeitig umfassen konnten. Dabei sei es nicht die Größe die ihn an den Gebäuden stören würden, gibt Koolhaas an. Es sei vielmehr die Künstlichkeit. Moderne Gebäude bestünden aus Räumen, die von der Umwelt abgeschnitten seien, worin Licht und Klima künstlich erzeugt werden müssten. Wenn man Wege finden würde, das natürlich zu lösen, mit Sonnenlicht und natürlicher Ventilation, dann könne man auch große Bauten nachhaltig planen.

Suchend nähert sich die hochgeschätzte Kultfigur jeder neuen Aufgabe, läßt sich inspirieren von der Vergangenheit, von der Frühmoderne und den Konstruktivisten, von Mies van der Rohe, Le Corbusier und Leonidow. Trotz seiner Berühmtheit würden nur fünf Prozent seiner Entwürfe tatsächlich gebaut, sagte Koolhaas im Interview mit dem Spiegel. 95 Prozent seiner Entwürfe, an denen er zum Teil jahrelang gearbeitet hat,  werden lediglich in Büchern festgehalten und konserviert. Das sei das „schmutzige Geheimnis“ der Architekturbranche. „Wir Architekten werden als Helden gefeiert, dabei ist Erniedrigung unser Alltag“, bedauert der hochgeschätzte Architekt.

Weitere Informationen über Rem Koolhaas finden Sie hier, in unserer Rubrik Personen A-Z.

Koolhaas, Rem. (1996) „Die Stadt ohne Eigenschaften“. Übersetzung von Fritz Schneider, in: ARCH+ 132.
Koolhaas, Rem & Obrist, Hans Ulrich. (2011) Project Japan. In englischer Sprache. Taschen Verlag: Köln.