Nachrichten Dezember 2011
BELGIEN: Nach mehr als einem Jahr endlich neue Regierung?
Brüssel. RH/FAZ/NOS/NRC/Spiegel/VK. 1. Dezember 2011.
Nach 535 Tagen scheint es so, als würde in Belgien nun endlich eine neue Regierung gebildet. Ministerpräsident wird Elio Di Rupo. Der Sozialdemokrat sowie sechs weitere Parteien haben die Verhandlungen gestern Abend, fast anderthalb Jahre nach den Wahlen in Belgien, abgeschlossen. Die sechs beteiligten Parteien hätten sich auf ein umfassendes Abkommen verständigt, hieß es am Mittwochabend aus Verhandlungskreisen in Brüssel. Heute wird der 185 Seiten lange Vertrag des Regierungsbeschlusses noch einmal einer umfassenden Prüfung unterzogen. Danach sollten sich die belgischen Sozialisten, Christdemokraten und Liberalen über den Inhalt des Entwurfes einig sein und eine Regierung bilden können.
Nicht beteiligt sind die flämischen Nationalisten der Partei N-VA, die bei den Wahlen vom Juni unter Führung von Bart De Wever zur stärksten politischen Kraft des Landes geworden waren. De Wever, der einen eigenen Staat Flandern fordert, hatte als Verhandlungsführer mögliche Kompromisse mehrfach blockiert. Am kommenden Wochenende soll nun der Regierungsvertrag genehmigt werden. Wenn alles nach Plan verläuft wird Belgien am Montag nach 540 führungslosen Tagen eine neue Regierung haben.
Der Streit zwischen den frankophonen Wallonen des Südens und den Niederländisch sprechenden Flamen im Norden Belgiens hatte nach den Wahlen vom Juni 2010 eine Regierungsbildung lange blockiert. Anschließend konnten sich die Parteien nicht darauf einigen, wie rund 11,3 Milliarden Euro im belgischen Staatshaushalt 2012 eingespart werden sollten.
Anscheinend brachte erst die Senkung der Kreditwürdigkeit Belgiens den Stein ins Rollen. Erst nachdem die Ratingagentur Standard & Poor’s die Kreditwürdigkeit Belgiens um eine Note von „AA+“ auf „AA“ senkte, kam ein Kompromiss zum Budget des kommenden Jahres zustande. Durch diesen Kompromiss konnten sich die zerstrittenen Parteien offensichtlich wieder annähern. Die neue Regierung will die Banken künftig strenger kontrollieren. Die belgische Staatsbank Dexia und das ursprünglich aus Belgien stammende, internationale Finanzunternehmen KBC, erhielten bisweilen finanzielle Unterstützung von der Übergangsregierung. Künftig sollen diese Banken keine Boni mehr an ihre Manager verteilen können, schreibt die niederländische Rundfunkanstalt NOS auf ihrer Internetseite. Die Banken müssen zukünftig einen Krisenplan ausarbeiten, um sich in der Zukunft besser gegen Rezessionen zu wappnen.
Das Amt des Ministerpräsidenten übernimmt der Wallone Elio Di Rupo, der seit 1999 Vorsitzender der französischsprachigen Parti Socialiste. Er ist langjähriger Parlamentarier, war Minister in der Föderalregierung, die die Ausführung der Gesetze und die allgemeine Verwaltung des Landes gewährleistet, und bekleidete zwei Mal das Amt des Ministerpräsidenten der wallonischen Region. Andere Abgeordnete planen in seinem Alter langsam den Ausstieg aus der Politik – nicht so Di Rupo. Mit 60 Jahren wagt er den Schritt und übernimmt damit sicherlich kein leichtes Amt. Noch Ende November berichtete die deutsche Zeitschrift Der Spiegel, dass Di Rupo wegen der Blockade in den Haushaltsverhandlungen bei König Albert II. um seine Entlassung als Vermittler gebeten hatte.
Die niederländischen Medien betrachten die lange Regierungsbildung bei ihren südlichen Nachbarn mit mildem Spott. Zum Beispiel überschrieb die NOS ihre heutige Meldung zum Thema mit den Worten "Ab Montag haben die Belgier eine Regierung. Echt." Das Jugendjournal der NOS wies seine jugendlichen Zuschauer vor allem auf den Weltrekord hin, den die Nachbarn mit dieser langen führungslosen Zeit erzielt hätten. Ansonsten wird den Belgiern zu dem Durchbruch gratuliert. Vor allem De Rupos Versprechen, in seinem neuen Amt sein Niederländisch verbessern zu wollen, wurde begrüßt.