Wer guckt die ...
...und vor allem: Warum?
Das Publikum des Jerry Springer läßt sich zunächst in zwei Gruppen unterteilen das Publikum in seiner Show und das Publikum zuhause vor dem Fernseher.
Warum schalten Millionen von Menschen täglich Jerry Springer ein? Was bieten dieser Mensch und seine Show Ihnen?
Bei dem in der Show anwesenden Publikum ist diese Frage mit dem puren TV Fetischismus zu beantworten. Das Publikum weiß genau, daß Millionen anderer Amerikaner vor ihren Fernsehschirmen zuhause zusehen, wie sie sich richtig gehen lassen. Denn das ist etwas, das sie bei Jerry Springer dürfen. Grölen, Schimpfen, Prügeln ... all die Dinge, die sie schon immer mit ihrem Nachbarn tun wollten, sich aber nie zu tun trauten hier sind sie erlaubt. Und wenn sich ihnen schon die Chance bietet, sich wie eine angestachelte Menge während der Guillotinierungen der Französischen Revolution zu benehmen, nehmen sie sie an. Und unter dem Gesichtspunkt "dies ist ein freies Land" genießt das Publikum seine Freiheiten nach Herzenslust.
Dieses Verhalten wirft natürlich Fragen auf wie: Wann reicht das Schimpfen und Prügeln nicht mehr? Wann wird wirklich Blut über den Bildschirm fließen? Wörtlich genommen fließt es schon jetzt, denn wenn man bedenkt, daß ein homosexueller Gast der Jerry Springer Show ermordet wurde, weil er in der Sendung bekannt hatte, in den Mann, der sein Mörder werden sollte, verliebt zu sein; wenn man sich vor Augen führt, daß Teenager ihre kleine Schwester über Jahre hinweg mißhandelt und vergewaltigt haben und das alles ausder stolzen Überzeugung: "Das haben wir bei Jerry Springer gelernt!", dann fragt man sich doch, mit welcher Berechtigung eine derartige Sendung produziert wird:
Sicher: Es ist Publicity und Amusement für die einen, die Spaß wollen ohne über den Hintergrund einer solchen Gossenunterhaltung zu blicken. Aber was ist mit den anderen, die diese Show ernst nehmen? Das mag ein kleiner Prozentsatz sein; aber es gibt sicherlich jede menge sozial benachteiligte, aggressive, zu Gewalt bereite Jugendliche, die die Jerry Springer Show als Freibrief zur Gewaltanwendung verstehen. Was das Fernsehen zeigt, ist erlaubt.
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Bei dem Publikum zuhause
kommen vergleichbare Gründe zum Tragen. So schalten manche Leute, genau wie bei deutschen
Talk Shows, aus Langeweile ein. Beim Bügeln-Prügeln, ohne den Verstand anstrengen
zu müssen, kann Fernsehen konsumiert werden.
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Und auch der Aspekt der Unterhaltung ist noch vertretbar. Viele finden die Jerry Springer Show "irgendwie spannend" und trotzdem "irgendwie unbedeutend, weil da ja keine real fights sind". Auch hier beweist sich Amerika als freies Land, in dem sich Transsexuelle im Fernsehen ausziehen und mit Stühlen werfen dürfen, in dem Jerry öffentlich fragen darf, ob "jemand es mit jemandem getan hat" und in dem skandalös verbeepte Dialoge ("Und dann hat er seinen # ## # in #.") gesendet werden dürfen. Freiheit? Oder Volksverdummung? In gewisser Weise kann man von Freiheit reden, da tatsächlich tabuisierte Themen im Fernsehen aufgegriffen werden; aber führt diese Veröffentlichung nicht gerade zu einer noch größeren Tabuisierung? Sind es nicht gerade die emanzipierten 90ger Kids, die verschämt erröten, wenn sie das Wort `Geschlechtsverkehr` aussprechen sollen und verlegen kichern, wenn Erwachsene das Thema anschneiden?
Rückschritt oder Sensibilisierung? Beides sicherlich, doch es ist nicht an mir zu entscheiden, zu welchen Prozentsätzen das eine oder andere greift.
Die letzte Gruppe der TV-Zuschauer schaltet ein, um Aggressionen abzulassen. Sie identifiziert sich mit den Aggressoren in der Show und zerquetscht wütend ihre Bierdosen in der Faust, weil "die Schlampe ihren Typen mit seiner Tante betrügt". So banal und absurd ein Talkthema ist, um so größer wird die Gewaltbereitschaft, denn wer möchte schon, daß ihn seine Freundin mit seiner Tante betrügt? Auch hier muß überlegt werden, wie weit diese Gewalt geht. Beschränkt sie sich auf das Zerquetschen einer Blechdose, oder ufert sie möglicherweise aus?
Der große Nachteil des amerikanischen Fernsehens ist immer noch das Erschaffen von mehr oder weniger konkreten Feindbildern. Waren es früher Katzen und Hunde bei Tom & Jerry, die sich gegenseitig in den Boden stampften oder ins All bombten; waren es früher Farbige, die als Müllmänner oder Bösewichte in `weißen` Filmen auftauchen durften, wogegen heute schwarz und weiß in Fernsehserien weitestgehend getrennt (abgesehen von dem Alibifarbigen bzw. dem Alibiweißen); waren es die bösen Russen, ist es heute zunehmend der Rest der Welt. Der neue Held des amerikanischen Films ist Einzelgänger (plus Freund plus eine Frau) und kämpft in erster Linie um sein Überleben und dann auch gleich für den Erhalt der Welt (siehe "Matrix").
Die Identifikationsfigur wird stilisiert, was manch einen Egoisten auf die Idee bringen könnte, es sei wirklich nur ER, der zu überleben hat, während alle anderen Feinde sind oder zumindest ohne große Bedeutung.
Mit diesem gedanklichen Unterbau kann die Jerry Springer Show schon gefährlich werden und ist in einem gewissen Sinne auch mitverantwortlich für Verbrechen wie das Littleton-Massaker.
Zwar hat Jerry stets einen Final Thought zu seiner Sendung, der allerdings zumeinst pseudopädagogisch oder auch antipädagogisch ist, weil Jerry dann die Gewalt in seiner Sendung gut heißt mit der Begründung, "hey Leute, wie langweilig wär`s denn sonst?".
TV meets the needs wie immer. Was Quoten bringt, kann auch durch ein Gerichtsverfahren nicht gestoppt werden. Jerry Springer ohne Prügeleien? Das bringt keine Quote, und so wird er einfach weitermachen, das Ipschige idolisieren und auf Blut warten, das er bei dieser Entwicklung sicherlich eines Tages bekommen wird.
Anmerken möchte ich jetzt noch die Beziehung des Auslands zu Jerry Springer und seiner Show.
RTL plant bereits eine deutsche Version der Jerry Springer Show, während es Extreme-Shows (die 100000 Mark-Show, in der Leute für Geld Rolltreppengeländer ablecken) und Rache-Shows (Rache ist süß) bereits gibt.
In den Niederlanden läuft Jerry Springer im Kabelfernsehen morgens um elf und nachmittags um 18 Uhr, wozu gesagt werden muß, daß der O-Ton weggebeept wird, während sich die Talkgäste in den niederländischen Untertiteln nach Herzenslust beschimpfen.
Noch krassere Sendezeiten als in den USA, wo Jerry Springer erst im Abendprogramm auftaucht heißt das, die Europäer sind vernünftiger, daß sie seine Sendung ihren Kindern zumuten können? Oder daß sie noch verdorbener sind?
Bleibt nur noch zu zitieren:
"So for the next time, take care of yourself
and each other!"