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"Die Regeln der Groß- und Kleinschreibung, der Zeichensetzung, ja sogar der Silbentrennung sind das Resultat einer kollektiven Sprachreflexion von Grammatikern und Lehrern, von Autoren und Lesern seit dem 16. Jahrhundert. Deshalb steckt in vielen Regeln mehr Weisheit, als mancher Linguist auf Anhieb bemerkt." (Munske 1997, S. 2)

Horst H. Munske, der freimütig bekennt, seine einst reformfreudige Einstellung habe sich mit wachsender Einsicht sehr gewandelt, plädiert seit Jahren energisch für eine "Pflege" der Orthographie, das heißt für die Bewahrung ihres wesentlichen Gehaltes bei gleichzeitigem Bemühen um eine bessere Darstellung, als sie der Duden - aus welchen Gründen auch immer - bisher geleistet hat.

Das Dudenprivileg, ungenau auch "Monopol" genannt, war eine Art "Beleihung" des privatwirtschaftlichen Verlagsunternehmens mit einer amtlichen Aufgabe. Damit ist es vorbei, und man darf annehmen, daß eine Rückkehr zu dieser rechtlich umstrittenen Konstruktion nicht mehr möglich ist.

Auf der anderen Seite ist es wünschenswert, die geradezu beispielhafte Einheitlichkeit der deutschen Orthographie zu bewahren oder - soweit sie durch den Mutwillen der Kultusminister bereits zerstört ist - wiederherzustellen. Nach den schlechten Erfahrungen mit staatlich beauftragten Kommissionen (deren Rekrutierung sich in einem undurchdringlichen Kompetenz- und Kooptationswirrwarr verliert) sollte eine grundsätzlich nichtobrigkeitliche Lösung dieser Aufgabe gesucht werden. Liegt ein überzeugender Vorschlag auf dem Tisch, so werden die Verlage und alle anderen Interessierten ihm gern folgen, und es spricht nichts dagegen, daß auch die Schulbehörden ihn für ihren Zuständigkeitsbereich verbindlich machen.

Die deutsche Orthographie ist geregelt. Täglich werden Hunderttausende von Texten gedruckt und geschrieben, die genau dieselben Schreibweisen befolgen, wie sie in Millionen von Büchern bereits vorliegen. Es gibt einen Usus, der in seinem Kernbestand fraglos gilt und bisher vom Duden schlecht und recht beschrieben war. Erfunden hat der Duden die übliche Rechtschreibung natürlich nicht. Sie ist vielmehr das Ergebnis einer jahrhundertelangen Schreibpraxis von unzähligen Menschen, die sich sehr wohl etwas dabei gedacht haben, wenn sie groß und klein, getrennt und zusammenschrieben, Kommas und Anführungszeichen setzten. Die Zweite Orthographische Konferenz zu Beginn des Jahrhunderts hat keinerlei Neuerungen gebracht, sondern lediglich die regionalen Schulorthographien vereinheitlicht und gegen willkürliche Veränderungen unter Schutz gestellt. Deshalb benötigte sie nur drei Tage und nicht zwanzig Jahre.

Das Ärgerliche am Duden ist, daß er seiner Fehldeutung durch Normfetischisten nicht entgegengewirkt, ja sie im Gegenteil noch gefördert hat. Das wollen wir uns an einigen Beispielen klar machen. Klar machen? Nein, sagt der Duden, klarmachen! Denn getrennt geschrieben wird, "wenn klar im urspr. Sinne gebraucht wird", zum Beispiel klar werden (auch vom Wetter). Dagegen gilt "Zusammenschreibung, wenn ein neuer Begriff entsteht", z. B. klarwerden: ihm ist sein Irrtum klargeworden. Der Wein wird klar gemacht, das Schiff und der Irrtum werden klargemacht. Aber wenn ich nun die Klarheit der berühmten Kloßbrühe gar nicht als die ursprüngliche Klarheit betrachte, sondern gerade umgekehrt die Klarheit des Gedankens?

Um diesem Unsinn einen Reiz abzugewinnen, müßte man ein Ionesco sein. Das Rechtschreibwörterbuch aber hat den Usus zu beschreiben. Was es den beobachtbaren Tatsachen an Begründungen, Erklärungen, ja auch nur an Regeln, d. h. verallgemeinerten Beschreibungen hinzufügt, ist Theorie und kann falsch sein. Damit wird es unbeachtlich. Denn falsche Theorien kann nicht einmal eine Kultusministerkonferenz verbindlich machen. (Aus diesen Überlegungen geht nebenbei auch hervor, daß das Wörterverzeichnis und nicht das Regelwerk der Kern der Orthographie ist und daß es eine Zumutung war, der Öffentlichkeit jahrelang nur ein neues Regelwerk ohne Wörterbuch zu präsentieren.)

Ein Gedanke kann ebenso wie die Brühe klar sein und klar werden und selbstverständlich auch klar gemacht werden. Das alles ist grammatisch einwandfrei. Es gibt allerdings im Deutschen ein kleines Unterprogramm, wonach Resultativzusätze, wenn sie nicht zu umfangreich sind, mit Verben zusammengeschrieben werden können: kaputtschlagen, blaureiben, gesundrationalisieren, kaltmachen und natürlich auch klarmachen. Mit "urspr. Sinn" und neuem Begriff hat das überhaupt nichts zu tun.

Wenn man den Duden liest, könnte man tatsächlich meinen, radfahren müsse im Gegensatz zu Auto fahren zusammengeschrieben werden. Die Theorie steht in R 207: "Man schreibt ein Substantiv mit einem Verb zusammen, wenn das Substantiv verblaßt ist und die Vorstellung der Tätigkeit überwiegt." Unsere modernen Linguisten haben sich über das "Verblassen" der Substantive mokiert, wohl kaum mit Recht. (Als kürzlich der schöne Begriff "bleaching" über den großen Teich zu uns kam, wurde er von denselben Linguisten freudig begrüßt ...) Bei radfahren also herrscht tatsächlich die Vorstellung der Tätigkeit vor, weshalb auch schon zu Beginn des Jahrhunderts das Verb radeln im Duden stand, während die Autofahrer es bis heute nicht zu einer ähnlich gemütvollen Bezeichnung ihrer Fortbewegungsart gebracht haben. Wie dem auch sei - ganz falsch wäre jedenfalls die Folgerung, man dürfe radfahren gar nicht getrennt schreiben. Man kann Auto fahren, Traktor fahren, Roller, Dreirad und Fahrrad fahren und selbstverständlich auch Rad fahren. Die Bezeichnung eines geeigneten Fahrzeugs zusammen mit fahren ergibt immer eine grammatisch zulässige Verbindung. Was die Grammatik erlaubt, kann die Orthographie nicht verbieten. Das ist der Kernsatz einer richtigen Dudenexegese. Nur als besondere Lizenz gibt es auch radfahren. Damit ist den Reformern, wie man sieht, schon ziemlich viel Wind aus den Segeln genommen.

Einmal aufmerksam geworden, entdeckt man, daß fast alle Dudenregeln Kann-Bestimmungen sind, Spielräume eröffnen. Sogar unsere Regel 207 läßt Rad fahren zu. Möge immerhin das "verblaßte" Substantiv mit dem Verb zusammengeschrieben werden - das unverblaßte bleibt davon unberührt. Es braucht auch nicht eigens im Wörterbuch zu stehen. Traktor fahren steht ja auch nicht drin.

Die Reformer bilden sich ein, dem Bindestrich eine größere Anwendungsbreite verschafft zu haben. Joghurt-Becher, so sagen sie, sei bisher falsch gewesen und werde infolge der Neuregelung richtig sein. Weit gefehlt! R 33 sagt, daß zusammengesetzte Wörter "gewöhnlich" ohne Bindestrich geschrieben werden. In den folgenden Regeln wird vorgeführt, wie der Bindestrich zur Erhöhung der Übersichtlichkeit oder zur Herausarbeitung eines eigentlichen Sinnes gesetzt werden kann: Druck-Erzeugnis, Hoch-Zeit, be-greifen sind die Originalbeispiele. Folglich ist auch Joghurt-Becher völlig in Ordnung.

Fast alle Bedenken, die man gegen Widersprüche und Haarspaltereien des Duden vorgebracht hat, lassen sich nach dem Prinzip der wohlwollenden Interpretation beseitigen.

Daraus ergibt sich von selbst, wie zu verfahren ist, wenn man die von den Kultusministern leichtfertig zerstörte Einheit der deutschen Orthographie wiederherstellen will: Die gewohnten Schreibweisen bleiben gültig, ihre Kodifikation wird - nach dem unwiderruflichen Ende des Dudenprivilegs - auf eine andere, weder kommerziell interessierte noch politisch gebundene Instanz übertragen, damit die Schulen und Verlage etwas haben, woran sie sch halten können. (Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung hätte hier eine verdienstvolle Aufgabe, und ihr tatkräftiger Präsident ist offenbar gewillt, sie anzupacken.) Da es nur um eine Rekonstruktion, das heißt um die Erfassung und Beschreibung des Usus geht und nicht um eine Neukonstruktion, hält die Arbeit sich sehr in Grenzen. Bei der Neufassung der Regeln sollten folgende Grundsätze gelten:

1. Alle Schreibweisen, die im Wörterverzeichnis des Rechtschreibdudens bis zur zwanzigsten Auflage (1991) verbucht sind, bleiben richtig.

2. Darüber hinaus sind alle Schreibweisen richtig, die sich bei sinngemäßer und grundsätzlich liberaler Auslegung aus den Regeln des genannten Werkes ableiten lassen.

3. Keine Schreibweise, die der deutschen Grammatik gerecht wird, kann orthographisch als falsch gelten.

Aus diesen Grundsätzen folgt, daß niemand, der korrekt schreiben will, ein anderes Werk als die bis zum Sommer 1996 vorliegenden dudenkonformen Regelwerke, Wörterbücher und didaktischen Materialien heranzuziehen braucht. Niemand wäre also gezwungen, neue Bücher zu kaufen.

Was bisher für die sogenannte Rechtschreibreform ausgegeben wurde, ist so oder so verlorenes Geld. Die Wiederherstellung normaler Zustände jedenfalls ist kostenlos zu haben. Man muß sie nur wollen.

 

 

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