Kommentar |
Religion ist zurückgekehrt in die öffentliche Debatte. Nicht mehr die Säkularisierungstheorie wird zur Erklärung des religiösen Wandels in der Moderne herangezogen. Die Stichworte, mit denen die gegenwärtig ablaufenden religiösen Wandlungsprozesse beschrieben werden, lauten vielmehr: Entprivatisierung des Religiösen (José Casanova), Rückkehr der Götter (Friedrich Wilhelm Graf), Wiederverzauberung der Welt (Ulrich Beck) oder – schlicht – Desecularization (Peter L. Berger). Die Säkularisierungsthese, die von Sozialwissenschaftlern wie Steve Bruce, Ronald Inglehart und Karel Dobbelaere nach wie vor vertreten wird, nimmt an, dass die soziale Relevanz der Religion in modernen Gesellschaften zurückgeht und ihre dominanten Formen sich privatisiert haben, dass zwischen Tradition und Moderne ein scharfer Bruch besteht und die Modernisierung der Gesell-schaft letztendlich negative Konsequenzen für die Akzeptanz religiöser Ideen, Praktiken und Vor-stellungen hat. Kritiker der Säkularisierungstheorie wie Rodney Stark, Laurence Iannaccone und Roger Finke aus den USA vertreten hingegen die Position, dass Modernisierung die Vitalität von Religionen nicht nur nicht ausschließt, sondern sogar befördert. Wieder andere wie etwa Thomas Luckmann oder Hubert Knoblauch beobachten einen grundlegenden Wandel der dominanten For-men des Religiösen, nicht jedoch seinen Bedeutungsverlust. Die zentrale Frage des Seminars lautet daher zum einen, wie wir die soziale Lage von Religion in modernen Gesellschaften angemessen beschreiben können, und zum andern, wie wir die be-obachtbaren regionalen Differenzen und die zeitliche Veränderungen erklären können. Den Schwerpunkt des Seminars bilden ausgewählte Fallanalysen zum religiösen Wandel in Ost- und Westeuropa (zum Beispiel zu Irland, Westdeutschland, den Niederlande, Ostdeutschland, Polen, Russland) und, sofern gewünscht, auch ein oder zwei Fälle in modernen Gesellschaften außerhalb Europas. Eingebettet werden die Fallanalysen jedoch in den Rahmen von theoretischen Erklä-rungsansätzen. |
Literatur |
Literatur: Norris, Pippa/Ronald Inglehart (2004): Sacred and Secular: Religion and Politics World-wide. Cambridge 2004; Rodney Stark/Roger Finke: Acts of faith: Explaining the human side of religion. Berkeley: University of California Press, 2000; Ebertz, Michael: Kirche im Gegenwind: Zum Umbruch der religiösen Landschaft. Freiburg/Basel/Wien: Herder, 1997; Gabriel, Karl: Christentum zwischen Tradition und Postmoderne. Freiburg/Basel/Wien: Herder, 1992; Bruce, Steve: God is Dead: Secularization in the West. Oxford 2002; McLeod, Hugh/Ustorf, Werner (Hg.): The Decline of Christendom in Western Europe, 1750-2000.Cambridge2003; Pollack, Detlef: Rückkehr des Religiösen? Studien zum religiösen Wandel in Deutschland und Europa II. Tübingen 2009; Pickel, Gert (2010): Säkularisierung, Individualisierung oder Marktmodell? Religiosität und ihre Erklärungsfaktoren im europäischen Vergleich, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 62: 219-245; Ziemann, Benjamin (2011): Säkularisierung und Neuformierung des Religiösen: Religion und Gesellschaft in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, in: Archiv für Sozialgeschichte 51: 3-36; Pollack, Detlef/Mueller, Olaf/Pickel, Gert (Hg.) (2012): The Social Significance in an Enlarged Europe. Aldershot: Ashgate (forthcoming) |