Kommentar |
Darf ein Teilgebiet eines Staates gleichsam die Scheidung einreichen? Sind separatistische Bestrebungen und Sezessionen legitim – und wenn ja: Wem kommt unter welchen Umständen ein Recht auf Sezession und staatliche Unabhängigkeit zu? Sollte das Recht auf Sezession in den Verfassungen demokratischer Rechtsstaaten verbrieft sein (wie es z. B. in der Verfassung der Sowjetunion verankert war)? Oder sind im Gegenteil die bestehenden Staaten dazu berechtigt, Sezessionsbestrebungen zu unterbinden? Die philosophische Analyse solcher Fragen zielt auf die Gewinnung eines Maßstabs ab, der nicht nur die gerechtigkeitsmoralische Zulässigkeit konkreter Sezessionsbestrebungen, sondern auch die gerechtigkeitsmoralische Angemessenheit völkerrecht¬licher Regelungen zu beurteilen erlaubt. Sieht man von Außenseiterpositionen einmal ab, lassen sich drei Strategien der moralischen Rechtfertigung einer Sezession unterscheiden. Die radikaldemokratische Sezessionsrechtfertigung hebt allein auf den Mehrheitswillen der Gebietsbevölkerung ab: Wenn die in einem Teilgebiet eines Staates lebenden Personen mehrheitlich übereinkommen, ihr je individuelles Selbstbestimmungsrecht nicht länger an diesen Staat zu delegieren, sondern auf einen anderen, unter Umständen erst noch zu gründenden Staat zu übertragen, dann legitimiere dieser Wille der Gebietsbevölkerungsmehrheit eine von ihr intendierte Sezession. Die kommunitaristische Sezessionsrechtfertigung erkennt dagegen nur einer solchen Gebietsbevölkerungsmehrheit ein Sezessionsrecht zu, die sich aufgrund einer gemeinsamen Sprache, Kultur oder Religion als Volk, Nation oder Gemeinschaft ansprechen lässt. Den sogenannten Remedial Right Only Theories schließlich liegt die Auffassung zugrunde, dass allein vorgängiges schweres Unrecht eine Sezession zu legitimieren vermag. Im Seminar sollen die Argumente für und wider die genannten Auffassungen anhand zentraler Texte ihrer einflussreichen Vertreter rekonstruiert und gegeneinander abgewogen werden. |
Literatur |
Denjenigen, die sich auf das Seminar gründlich vorbereiten möchten, seien zur Vorbereitung zwei Bücher empfohlen: • Allen Buchanan, Secession: The Morality of Political Divorce from Fort Sumter to Lithuania and Quebec, Boulder, Col. 1991 (der „Klassiker“ zum Thema) Frank Dietrich, Sezession und Demokratie. Eine philosophische Untersuchung, Berlin/New York 2010 (erscheint im Februar) |