Kommentar |
Neuere gewaltsoziologische Überlegungen ringen nicht nur mit der Frage, zu welchen Ebenen oder Dimensionen eine stichhaltige Gewalterklärung Beziehungen herstellen muss (Schicht, Biographie, Erwerbschancen, usw.), sondern auch um die eher wissenschaftstheoretische Frage, was »Erklären« überhaupt bedeutet: Gilt ein Sachverhalt (z.B. eine Schlägerei zwischen Jugendlichen in der Schule) als erklärt, wenn das Prinzip gefunden ist, nach dem man sagen könnte: Weil »xy« geschehen ist, musste es zu »z« kommen? (»Weil der Junge provoziert worden ist zudem ohnehin gerade unter Druck steht, sind bei ihm die Sicherungen durchgebrannt und er hat zugeschlagen.«) Oder ist es nicht vielmehr umgekehrt: Als »Erklärung« gilt genau dann eine Beschreibung eines Sachverhalts, wenn sie eben diesem Anspruch nach kausaler Form gerecht wird? Überspitzt gesagt: Liegt die Hauptleistung der wissenschaftlichen Kommunikation nicht eher darin, »Wahrheiten« im Sinne einer Auskunft über die alle betreffende, »objektive« Welt zu produzieren, sondern alle dieser Form nicht subsumierbaren Auskünfte als nicht-anschlussfähig im Rahmen einer wissenschaftlichen Betrachtung auszuschließen? Mit der Abstraktion auf »das Erklären« scheint die Gewaltsoziologie auf eigenen Wegen nachzuholen, was ihr durch frühere kategorische Zurückweisungen, überhaupt etwas zu erklären, tendenziell entgehen musste. Zugleich dürfte sie damit allerdings durch die einhergehende »Verkomplizierung« ihres Gegenstands zunehmend entlegen wirken. Wer daran interessiert ist, wie Gewaltprävention etwa im Rahmen pädagogischer Maßnahmen effektiver werden kann, verliert zunehmend den Faden (und dann wohl schnell das Interesse). Das Seminar setzt sich zum Ziel, zumindest diesen Faden nicht abreißen zu lassen. Es will die soziologische Seite dieser Problematik transparent machen, um zu zeigen, dass eine stichhaltige Gewalterklärung nicht ohne Bezug auf gesamtgesellschaftlich zu rahmende Kommunikationsprobleme zu haben ist. Damit befähigt es nicht nur, selbstständig soziologisch Fragestellungen (für Ausarbeitungen, Hausarbeiten, Abschlussarbeiten) zu entwickeln. Es leistet zudem einen Beitrag fern einer schlichten Dichotomie von Facts vs. fakes bezogen auf einen nach wie vor brisanten Gegenstands(bereich). Voraussetzung für die Teilnahme ist die Bereitschaft regelmäßig anwesend zu sein und Texte zu lesen. |