Description |
Das ‚Schreiben über sich selbst‘ hat in Frankreich spätestens seit der Renaissance eine reiche Tradition ausgebildet, die auch in der Forschung durch unterschiedliche Disziplinen erkenntnisreich erschlossen wurde. Die Definition der Autobiographie als Gattung, die das eigene Leben bzw. das historisch-biographische Ich als Gegenstand der Schrift reflektiert und durch Erzählstrukturen (d.h. durch eine „cohérence logique“, Georges Gusdorf) zu ergründen sucht, ist auf die Klärung der Begriffe Subjekt, Selbst, Individuum, Person, Selbstbewusstsein und -behauptung angewiesen. Sie hat zugleich die jeweiligen historisch-gesellschaftlichen Normen, Wissensfelder und Machtstrukturen, denen das Ich zugehörig ist, zu beachten. Insofern bewegt sich die autobiographische Schrift an den Grenzen von Freiheit und Zensur, des Öffentlichen und des Privaten, sie unterliegt, mit Foucault gesprochen, den règles du discours.
In Seminar bearbeiten wir folgende Auswahl von Texten (auch in Auszügen) unterschiedlicher Epochen: Wir beginnen mit Nathalie Sarraute (1900-1999), Enfance (Paris, Gallimard 1983), und Annie Ernaux, Mémoire de fille (Paris, Gallimard 2016), und beschäftigen uns dann mit der Lebensbeschreibung George Sands (1804-1876), Histoire de ma vie (hg. von Martine Reid, Paris, Gallimard, 2004) im Hinblick auf ihr Selbstverständnis als Autorin. Das große Vorbild autobiographischer Bekenntnisse, die im 18. Jahrhundert verfassten Confessions von Jean-Jacques Rousseau (hg. von Bernard Gagnebin; Marcel Raymond, Paris 1959), betrachten wir unter der Perspektive von Öffentlichkeit und skandalöser Ich-Darstellung. Das Verhältnis von Memoiren und autobiographischem Porträt analysieren wir anhand von Auszügen aus Marguerite de Valois (1553-1615), Mémoires (Toulouse, Ombres 1994), und aus Michel de Montaigne (1533-1592), Les Essais (Paris, Pléiade 2007). Durch seine Darstellung eines privaten und unheroischen Ich hat Montaigne die europäische Literatur maßgeblich geprägt. |
Literature |
Zur Einführung:
Georges Gusdorf, „Conditions et limites de l’autobiographie,” in: Formen der Selbstdarstellung. Analekten zu einer Geschichte des literarischen Selbstporträts. Festgabe für Fritz Neubert, hg. von Günter Reichenkron, Berlin 1956, S. 105-124.
Karin Westerwelle, „Autobiography. Early Modern Times”, in: Handbook of Autobiography/Autofiction, hg. von Martina Wagner-Egelhaaf, Berlin, New York 2019, S. 732-752.
Zur Anschaffung:
Die genannten Werke in Taschenbuchausgaben. |