Kommentar |
Sassendorf profilierte sich als Bade- und Kurort besonders über das „Kinderbaden”. Nach der ersten Gründung einer evangelischen Kinderheilanstalt 1877 folgten im 20. Jahrhundert weitere konfessionelle (katholisch, jüdisch) und berufsgenossenschaftliche Einrichtungen (Harpener Bergbau AG, Deutschnat. Handlungsgehilfenverband); zudem waren Kinder in kleineren Pensionen untergebracht. Das Badeerlebnis, die sozialen und kulturellen Praktiken in den Heimen, sind bisher noch weitgehend unerforscht. Die ersten Zeitzeugengespräche deuten jedoch an, dass die Kinderkurheime als „totale Institution” im Sinne Erving Goffmanns verstanden werden können, das bedeutet, dass der eigentlich der Erholung dienende Aufenthalt der Kinder in den Kurheimen komplett kontrolliert und reglementiert wurde.
In der Lehrveranstaltung soll diese Forschungslücke durch Zeitzeugenbefragungen und Recherchen in den einschlägigen Archiven geschlossen werden, und zwar sowohl aus der Sicht der betreuten Kinder wie auch aus Sicht der Betreuungspersonen. Methodisch erhalten die Studierenden eine theoretische Einführung in den Komplex der Oral History, die während des Semester in der Praxis umgesetzt werden soll. Die Bereitschaft zur eigenständigen Gesprächsführung mit den Interviewpartnern wird vorausgesetzt. Eine weitere Bearbeitung des Themas ist geplant.
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Literatur |
Erving Goffmann, Asyle. Über die soziale Situation psychiatrischer Patienten und anderer Insassen, Frankfurt a.M. 2008; Bernhard Jungnitz, „Verhindern, daß die heranwachsende Jugend der städtischen und Industriebevölkerung… dauernden Schaden an ihrer Gesundheit erleidet”. Kindererholungskuren auf den Nordseeinseln am Beispiel des Kreises Unna, in: Westfälische Forschungen 64 (2014), S. 159–189; Peter Kracht, Sassendorf. Vom Sälzerdorf zum Heilbad, Münster 2009; Julia Obertreis (Hg.), Oral History (Basistexte Geschichte 8), Stuttgart 2012. |