Jean-Jacques Rousseau erweist sich bei näherer Betrachtung als ein überraschend systematischer Denker. Zu Unrecht ist ihm in der Vergangenheit der Vorwurf gemacht worden, angesichts der Vielfalt der Themen, denen er sich in seinem Leben widmete und wegen seines literarischen Schreibstils, ein erratisch-schillernder Freidenker zu sein. Ernst Cassirer (1932) und Günther Buck (1984) wiesen aber eindringlich auf den systematischen Zusammenhang hin, der sich zwischen Rousseaus Werken beobachten lässt. Hiernach erweist sich der Bildungsroman Émile als eine systematisch-argumentative Brücke zwischen Rousseaus kulturkritischen und anthropologischen Schriften und seiner politischen Philosophie im Contrat Social: Aus dem Zustand der Entfremdung, in den sich der Mensch im Verlauf seiner Geschichte hineinmanövriert habe, befreie laut Rousseau allein eine gänzlich ‚andere‘ Erziehung, die zugleich überhaupt erst die Möglichkeit für ein politisches Gemeinwesen unter den Bedingungen des Gesellschaftsvertrags schaffe. Otto Hansmann (2012) hat diesen Dreischritt im Titel seines Buches „Vom Menschen – Über Erziehung – Zum Bürger“ prägnant zum Ausdruck gebracht. Im Seminar soll dieser Zusammenhang an verschiedenen Texten Rousseaus rekonstruiert und dabei die zentrale Stellung des Émile herausgearbeitet werden.