Description |
Für die Ausbildung von Pluralität und Toleranz im religiösen, aber auch im politischen Feld hat die Literatur, wie sie sich im 16. Jahrhundert im Spannungsfeld humanistischer Erneuerungen mit Michel de Montaigne oder auch in der ersten Hälfte des Jahrhunderts mit François Rabelais ausbildet, in kaum zu überschätzender Weise beigetragen. Nach Hans Blumenberg (1957) hat der Raum der Fiktion in der europäischen Literatur eine Veranschaulichungsfunktion von Welt. Literarische Repräsentation vollzieht eine doppelte Reflexionsleistung: Sie hält einerseits den status quo der historischen Welt der Sitten und Gebräuche in anschaulichen Formen der Beschreibung und Narration fest und stellt allererst Modelle normativen Denkens und Verhaltens plastisch dar, andererseits entwerfen Schriftsteller in kritisch-subjektiver Beleuchtung Gegenwelten und gegenüber normativen Diskursen abweichende, offene Perspektiven. Vor allem in Sachen Religion stellen sie damit ein Potential innovativer Denk- und Handlungsoptionen bereit.
Der maßgebliche Beitrag der Essais, die 1580, 1588 und 1592 erschienen, für eine Ausbildung von Toleranz, die bereits Nietzsche und Goethe in ihrer Bewunderung für den ‚freien‘ Montaigne in einer Zeit der geistigen Unfreiheit unterstreichen, hat die Forschung nach und nach festgestellt. Toleranz zeigt sich in Montaignes Beobachtung und Akzeptanz „der Vielfalt der Meinungen und der Vielfalt der Werte” (Stierle 1987), die der Essayist sowohl innerhalb einer Gesellschaft als auch zwischen Gesellschaften, für vergangene Epochen und die gegenwärtige Zeit beobachtet. Neuerdings wurde Michel de Montaignes als „Lehrer der Toleranz” gezeichnet. Besonders die skeptizistische Haltung des Essayisten als erkenntnistheoretische Bedingung der Offenheit des Urteils wurde in der Forschung betont. Wir werden im Seminar ausgewählte Essays lesen und der Frage nachgehen, durch welche literarischen Verfahren es Montaigne gelingt, Toleranz auszubilden. |
Literature |
Zur Einführung empfohlen:
Friedrich, Hugo, Montaigne, Tübingen; Basel 31993.
Starobinski, Jean, Montaigne en mouvement, Paris 1993 [11982].
Westerwelle, Karin, „Michel de Montaigne. Les Essais“, in: Joachim Leeker (Hg.), Renaissance, Tübingen 2003, S. 213-236.
Zur Anschaffung empfohlen:
Michel de Montaigne, Les Essais, éd. de Jean Balsamo, Michel et Catherine Magnien, Paris 2007 (Pléiade).
In den Taschenbuchausgaben greifen Sie bitte auf die Herausgeber: Pierre Villey, Jean Céard oder Emmanuel Naya / Delphine Reguig-Naya / Alexandre Tarrête zurück. |