Kommentar |
Das zeichnerische Werk von Honoré Daumier, dem „Michelangelo des 19. Jahrhunderts” (Michelet), eignet sich in seiner Anschaulichkeit und in seiner Hervorhebung von Konflikt und Differenz, wie sie die Karikatur erzeugt, besonders gut, um das 19. Jahrhundert literarisch, kulturell und historisch zu erschließen. Das Bildmedium bietet sich als Unterrichtsmaterial an: Es veranschaulicht und bietet die Möglichkeit für eine Einführung in unterschiedliche Stoffe, die zunächst über die initiierende Bildbeschreibung und dann in der analytischen Vertiefung durch weitere Textquellen erfolgen kann.
Die Vorlesung wird jenen Daumier in den Vordergrund rücken, der in Zusammenarbeit mit Literaten wie z.B. Honoré de Balzac gesellschaftliche Typen (wie den rentier oder épicier) entwirft, der Karikaturen über Dichter (wie z.B. Victor Hugo) anfertigt und darin die politische Funktion von Literatur befragt, der Phänomene wie den auch in der Literatur des 19. Jahrhunderts entdeckten chiffonnier (den Lumpensammler) beleuchtet, der über das Außenseitertum des Artisten in seinen Gaukler-Darstellungen reflektiert. Die Theaterbühne und das Theaterpublikum bilden weitere Gegenstände der Daumierschen Karikaturen, die zugleich auch Fragen der Rezeption der klassischen Literatur und des Verhältnisses von Sein und Schein aufwerfen. Daumiers Bildserie zur Histoire ancienne (1842-1843) bezieht sich ebenso auf Textquellen und fragt nach dem Verhältnis von moderner und klassischer Welt. Die Schriftsteller des 19. Jahrhunderts – wie Balzac, Baudelaire, Flaubert, die Gebrüder Goncourt etc. – haben sich intensiv mit Daumiers Karikaturen und mit dem Modell karikaturaler, satirischer und ironischer Darstellungsweise auseinandergesetzt. |