Kommentar |
Tausende Kinder sterben jeden Tag an vermeidbaren, auf Armut zurückzuführenden Ursachen. Millionen von Menschen leben in umkämpften Grenzgebieten, untergebracht in Lagern, die für viele zur dauerhaften Unterkunft geworden sind. Multinationale Konzerne setzen durch restriktive Maßnahmen und Niedriglöhne in einigen Teilen der Welt unwürdige Arbeitsbedingungen fest, während andere Unternehmen in Teilen der Welt mit Hilfe von privaten Söldnertruppen für Sicherheit sorgen. Im Globalen Süden verlieren sogenannte „failing states“, u.a. hervorgebracht durch Bürgerkriege und Genozid, die nationale Souveränität über Bevölkerung und Territorium. Im Namen der Sicherheit werden von Guantanamo bis „Prism“ zunehmend Bürgerrechte, Menschenrechte und fundamentale politische Prinzipien untergraben. Auf globaler Ebene ist eine „Wiederkehr des Religiösen“ zu beobachten, sei es in Bezug auf spezifische Konfliktkonstellationen, dem Kampf gegen Terrorismus und Fundamentalismus oder dem gesellschaftlichen Umgang mit Differenz im Allgemeinen.
Diese Beobachtungen werfen viele unterschiedliche Fragen auf, auf welche die sogenannten „Großtheorien“ der Internationalen Beziehungen (IB) (Realismus, Liberalismus, Konstruktivismus etc.) kohärente Perspektiven entwerfen, die sich voneinander abgrenzen lassen. Dabei kombinieren diese Ansätze bestimmte intellektuelle Traditionen, verwenden „passende“ Konzepte und interessieren sich selektiv stärker für spezifische internationale Politikfelder. Die oben skizzierten Beispiele globaler Entwicklungen deuten bereits an, dass mit der zunehmenden Komplexität globaler Politik auch differenziertere Betrachtungen und Blickwinkel notwendig werden. In den letzten 20 Jahren haben sich theoretische Ansätze der IB zunehmend pluralisiert, um dem Rechnung zu tragen. Neue Theorierichtungen bilden sich aus auf Basis der Beobachtung neuer empirischer Phänomene und Problemlagen, der Berücksichtigung von Ansätzen aus benachbarten wissenschaftlichen Disziplinen sowie der Kritik an bestehen Ansätzen und dem Aufzeigen von blinden Flecken etablierter Theorien. Das bedeutet, dass neue und alternative Ansätze eine Assemblage, verstanden im deskriptiven Sinn eines Zusammenfügens und Montierens, unterschiedlicher Ideen, Konzepte und Beobachtungen bilden, die uns neue Perspektiven des Verstehens und Erklärens eröffnen.
In dem Kurs soll folglich nicht auf einer übergeordneten Theorieebene diskutiert werden („der Feminismus sagt das“, „der Postkolonialismus will das“), sondern es geht darum jene Ideen, Konzepte und Entwicklungen anzuschauen, die uns ermöglichen, eine differenzierte Perspektive auf globale Problemstellungen einzunehmen. Wenn wir uns etwa fragen: „Wie beeinflussen religiöse Glaubensvorstellungen Politik?“, dann ist die Geschichte islamischer politischer Bewegungen im 20. Jahrhundert ein wichtiger Ausgangspunkt, werden die Konzepte und Begriffe von Religion, Säkularismus, Islamismus, Terrorismus aber auch Neoliberalismus relevant, sowie intellektuelle Traditionen (David Hume, Immanuel Kant) und neuere Entwürfe (Edward Said, Samuel Huntington). Durch diese Art des „Assemblings“ oder auch „Mappings“ können wir uns selbst in die Lage versetzen, eigenständige Perspektiven auf globale Probleme zu entwickeln, ohne uns notwendigerweise an etablierten Theorien orientieren zu müssen. Weitere Fragen, mit denen wir uns im Kurs beschäftigen und auf die wir spezifische Perspektiven entwickeln wollen, sind unter anderen: Wie ist die Welt ökonomisch organisiert? (>> Handel und Finanzen). Wie kann Armut beseitigt werden? (>> „Entwicklung“). Warum ist die Bewegungsfreiheit von Menschen eingeschränkt? (>> „Migration“). Wie können wir verhindern, dass Menschen sich gegenseitig Schaden zufügen? (>> „Sicherheit“).
Leistungsanforderungen:
Der Kurs versteht sich als Aufbaukurs zum Grundkurs „Einführung in die Internationalen Beziehungen“. Die hier erworbenen Kenntnisse, insbesondere zu den gängigen Theorieansätzen der IB, werden vorausgesetzt. Studierende müssen die Bereitschaft mitbringen, sich mit komplizierten theoretischen Ansätzen und Hintergründen auseinanderzusetzen. Zudem ist die Bereitschaft für die detaillierte Lektüre und Vorbereitung der ausschließlich englischsprachigen Seminartexte unbedingte (!) Kursvoraussetzung. Neben dem Lesen und Bearbeiten wissenschaftlicher Texte sind die Diskussion und die begründete (!) Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Fragestellungen und Standpunkten die zentralen Bestandteile des Studiums politischer Theorien. Da die einzelnen Sitzungen aufeinander aufbauen und vorherige Diskussionen aufgreifen, ist aktive und regelmäßige Teilnahme notwendig, um dem Kurs folgen zu können.
Studienleistung: Vorstellung ausgewählter Autor*innen, Konzepte und Entwicklungen, die unsere Kenntnisse in Bezug auf das Thema der Sitzung erweitern (verschiedene Präsentationsformen möglich).
Prüfungsleistung: Hausarbeit (4000-5000 Wörter).
Lektüre zur Einführung:
Edkins, Jenny; Zehfuss, Maja (eds.). 2014. Global Politics. A New Introduction. Second Edition. London/New York: Routledge.
Griffiths, Martin (ed.). 2007. International Relations Theory for the Twenty-First Century. An Introduction. New York: Routledge. |