Kommentar |
Vorlesung „Byzanz und der Westen”
Die Vorlesung behandelt die Kontakte des oströmischen, byzantinischen Reiches zu den westlichen Nachfolgern Roms von der Spätantike bis ins Spätmittelalter. Die Beziehungen zwischen beiden Räumen in diesem Jahrtausend gestalteten sich wechselhaft. Im politischen Bereich bilden die diplomatischen Beziehungen zu den fränkischen Herrschern, die Abkehr des Papsttums von Byzanz, das Zweikaiserproblem und Versuche der dynastischen Verbindung erste Schwerpunkte; die Kreuzzüge intensivierten die Kontakte auf vielen Ebenen, verstärkten aber auch Misstrauen und Rivalität, die in der Eroberung Konstantinopels 1204 durch den vierten Kreuzzug und die Etablierung lateinischer Herrschaften auf byzantinischem Gebiet gipfelten. Byzantinische Konzepte zur Bestimmung individueller und kollektiver Identitäten wurden als Folge dessen weiterentwickelt und stärker differenziert. Theologisch hatten sich Ost und West zu dieser Zeit bereits auseinanderentwickelt, verschiedene Versuche der kirchlichen Einigung schlugen fehl oder erwiesen sich als unwirksam. Doch setzten sich vermehrt griechische Gelehrte mit westlicher Theologie und Philosophie auseinander und wirkten auch in Italien, wodurch die dortige Renaissance wichtige Impulse erfuhr; ein Prozess, der nach dem Ende des byzantinischen Reiches durch Flüchtlinge aus Konstantinopel verstärkt wurde. Die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Byzanz und dem Westen wurden ab dem 12. Jahrhundert von der zunehmenden Dominanz westlicher Kaufleute aus Venedig und Genua geprägt.
Die skizzierte Bandbreite der politischen, religiös-kirchlichen, kulturellen und ökonomischen Ebenen, auf denen Kommunikation, Kooperation und Konflikt zwischen Ost und West sichtbar sind, wird in der Veranstaltung thematisiert. Dabei sollen die byzantinische Wahrnehmung westlicher Akteure und westlicher Kultur, Mechanismen der Abgrenzung, aber auch die gerade in der Spätzeit zu beobachtenden Verflechtungen zwischen beiden Sphären übergeordnete Schwerpunkte bilden.
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Literatur |
Odilo Engels u. a. (Hg.), Die Begegnung des Westens mit dem Osten. Kongreßakten des 4. Symposions des Mediävistenverbandes in Köln 1991 aus Anlass des 1000. Todestages der Kaiserin Theophanu, Sigmaringen 1993. D. J. Geanakoplos, Byzantine East and Latin West: Two worlds of Christendom in Middle Ages and Renaissance, New York 1966. H. Hunger, Graeculus perfidus, ITALOS ITAMOS. Il senso dell'alterità nei rapporti graeco-romani ed italo-bizantini (Storia e Storia dell'Arte 4), Rom 1952. E. Konstantinou (Hg.), Byzanz und das Abendland im 10. und 11. Jahrhundert, Köln u. a. 1997. M. Nicol, The Byzantine View of Western Europe, in: Greek, Roman and Byzantine Studies 8, 1967, S. 315-339. W. Ohnsorge, Ost-Rom und der Westen. Gesammelte Aufsätze zur Geschichte der byzantinisch-abendländischen Beziehungen und des Kaisertums, Darmstadt 1958 (mehrere Nachdrucke). N. G. Wilson. From Byzantium to Italy: Greek Studies in the Italian Renaissance, Baltimore 1992. |