Das Programm des Kooperationsseminars geht von Fragen aus, die sich in der Gegenwart zur römisch-katholischen Praxis und Theorie der Eheschließung stellen. Diese Fragen berühren damit aber auch die realen Wirklichkeiten von Paarbeziehungen und deren rituelle Feier u. ä. überhaupt. Davon wiederum unmittelbar bzw. mittelbar die konkrete Spiritualität der Beteiligten betroffen, hängt deren Ausbildung und Entwicklung doch nicht unwesentlich davon ab, wie Glaubende gerade ihre Beziehungen zu anderen Menschen gestalten und darin das Wirken des Geistes zu entdecken suchen. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer sind eingeladen, sich im Hinblick auf anzuwendende Methoden wie auch auf die Erhebung wichtiger Vergleichsdaten die Kompetenz zur eigenständigen Reflexion dieser Fragen zu erarbeiten. Auch wenn die Wahrnehmung von Material aus den Sozial‑ und Geisteswissenschaften unerlässlich ist, wird sich die Arbeit im Seminar vor allem an den Ritualen und ihren Implikationen orientieren. Die Gegenwartsfragen sind folgenden Themenbereichen entnommen:
(1) Rituale für Paare in ihrer Vielfalt: Schon ein kursorischer Blick in die Geschichte von Riten um Beziehung, Eheschließung, Familiengründung etc. zeigt eine große Vielfalt unterschiedlicher Modelle, Ansätze und Feierformen. Heute werden neue Feiern entwickelt (z. B. Segnungen von Paaren zum Valentinstag). Es finden sich auch Anregungen, in unseren Breiten zurückgegangene Bräuche wieder zu beleben und in ein Gesamtsystem der katholischen Begleitung von Lebenswenden zu integrieren (z. B. die Verlobung). Außerdem lädt ein Blick in die Geschichte jeder kirchlichen Feier dazu ein, die beobachtbare Vielfalt als kritische Anfrage an enge Standardisierungen zu verstehen.
(2) Ritual und Recht: Das katholische Ritual der Eheschließung ist an sich ein ausgezeichnetes Beispiel, um über die Verzahnung von Rechtsakten und Segenshandlungen ins Gespräch zu kommen. Das Seminar wird daher nicht nur anlässlich der großen Kontroversen unserer Zeit, sondern auch an und für sich das Ritual der Feier der Trauung analysieren, seine rechtlichen Hintergründe und Folgen thematisieren und die Stimmigkeit der in ihm assoziierten Bibelstellen für Menschen der Gegenwart bearbeiten. In diesem Kontext wird es sich auch lohnen, Ritualelemente der römisch-katholischen Feier auf ihre Rezeption hin zu überprüfen und zu fragen, wie sie im konkreten Brauchtum der Menschen der Gegenwart ankommen (z.B. Übergabe der Braut durch den Brautvater an den Bräutigam beim Einzug in die Kirche).
(3) Scheidung und zweite Heirat während der Lebenszeit ehemaliger Partnerinnen und Partner: Neben Scheidungsritualen von modernen Ritualdesignern (außerhalb der katholischen Kirche) und der Modifikation von orthodoxen Eheschließungsritualen zeigen sich mannigfaltige Möglichkeiten des Umgangs mit dem Scheitern von ursprünglich auf Endlosigkeit angelegten Beziehungen. Die jüngsten päpstlichen Initiativen haben das Thema des Umgangs mit dem Scheitern und der Neuerrichtung von Paarbeziehungen unter Christinnen und Christen aus der Sicht der Einladung zur vollen Teilnahme an der Eucharistie ins Interesse einer breiten Öffentlichkeit gerückt. Das Seminar analysiert und bewertet Rituale und Ritualelemente aus der Ökumene und sucht Argumente für die Bewertung dieser Praxis.
(4) Segnungen (Liturgie, Deutung, Weiterentwicklung) von gleichgeschlechtlichen Paaren in ökumenischer Perspektive und als Anfrage an Praxis und Theorie der katholischen Kirche: Zu dieser Frage finden derzeit in der katholischen Kirche intensive Konsultations‑ und Diskussionsprozesse statt. In den Debatten werden Bibeltexte, Zeugnisse der Tradition und des Lehramts neben Einwänden aus der Anthropologie der Gegenwart und Zeugnissen über Aspekte inoffizieller katholischer Praxis herangezogen und – auch im Abgleich mit den Praxen anderer Konfessionen – kontrovers debattiert. Das Seminar wird wichtige Themen dieses Diskurses identifizieren, analysieren und in historischer Perspektive bewerten.
(5) Ehen zwischen Katholikinnen/Katholiken und nichtchristlichen oder nichtreligiösen Menschen: Obwohl schon das maßgebliche römische liturgische Buch zur Eheschließung die Möglichkeit der Feier der Trauung mit einem Katechumenen enthielt, ging doch das deutsche Ritualbuch der frühen Neunzigerjahre weit über diese Anfänge hinaus, indem es Formulare für Feiern der Trauung nicht nur mit konfessionsverschiedenen Partnern und Partnerinnen, sondern mit Partnern und Partnerinnen anderer Religionen oder Menschen, die explizit nicht an Gott glauben, vorschlug. Das Seminar wird nach dem Echo dieser Vorschläge in der Praxis und deren theoretischen Implikationen suchen. |