Kommentar |
Was bedeutet es, die Absicht zu haben, zu erziehen? Mit dieser Frage thematisiert die Einführungsveranstaltung die selbsterklärte Absicht des Erziehungssystems dahingehend, dass noch nicht alles gesagt sein kann, wenn es mit Bezug auf Unterricht dabei darum geht, so präzise wie möglich die individuell erbrachten Leistungen des Einzelnen zu fördern (und anschließend »staatlich« zu zertifizieren). Das gilt sowohl für Chancen und Risiken, die einzelne Individuen im Laufe ihres Lebens haben werden, als auch wenn geklärt werden muss, was die vermittelnswerten Inhalte des Unterrichts überhaupt sein sollen. Dass durchaus noch mehr auf dem Spiel steht, zeigt sich schon daran, dass weitere Kontexte mitbedacht werden müssen (ein Stichwort wäre: „Transmission kulturellen Kapitals in der Familie“; auch: PISA-Studien).
Das eigentlich Interessante an der erklärten Absicht zu erziehen, ist aber: dass eine zentrale Voraussetzung dafür lautet: dass die Individuen nach Maßgabe ihrer individuellen Leistungen als solche überhaupt bewertet werden (können). Gegenüber diesem Sachverhalt wird die Soziologie sensibel: (1) Gerade an der Bewertung von Erfolg/Scheitern mit Bezug auf individuelle Leistungen zeige sich ein eindeutiges Indiz für eine explizierbare (z.B. von der Soziologie aufzudeckende) Funktionsweise der Bildungswesens: Man hat es mit einer raffinierten Verschleierung zu tun: Dass gerade durch die (Ideologie der) gleichen Chancen für jeden, die (Realität der) ungleichen Verhältnisse zementiert werde. (2) Auf was das Bewerten von Individuen nach dem Leistungsprinzip hinweist, lässt sich gar nicht nur mit Blick auf die interne Funktionsweise von Bildungseinrichtungen bestimmen. Vielleicht stellt das Bewerten eine Lösung eines >Problems< dar, das eine komplexe »Lage« andeutet, für diese aber deutlich über die Selbstbeschreibungen des Erziehungssystems hinausgegangen werden muss. |
Literatur |
Bourdieu, Pierre (2006): Wie die Kultur zum Bauern kommt. Über Bildung, Schule und Politik. Unter Mitarbeit von Margareta Steinrücke. Hamburg: VSA-Verlag.
Bremer, Helmut (2008): Die Möglichkeit von Chancengleichheit. Pierre Bourdieus Entzauberung der Natürlichkeit von Bildung und Erziehung - und deren ungebrochene Aktualität. In: Karl-Siegbert Rehberg (Hg.): Die Natur der Gesellschaft: Campus Verlag, S. 1528–1539.
Brosziewski, Achim (2010): Kulturelles Kapital, Bildung und die Selbstbeschreibung des Erziehungssystems. Gesellschaftstheoretische Impulse für eine Selbst-kritische Bildungssoziologie. In: Zeitschrift für Soziologie der Erziehung und Sozialisation 30 (H. 4), S. 360-374.
Lenzen, Dieter (Hg.) (2004): Irritationen des Erziehungssystems. Pädagogische Resonanzen auf Niklas Luhmann. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
Luhmann, Niklas (2002): Das Erziehungssystem der Gesellschaft. Hg. v. Dieter Lenzen. Frankfurt am Main: Suhrkamp. |