Kommentar |
Standardkurs (xxxxxx): The Global Governance of Food Waste – Internationale politische Kontexte der Nahrungsmittelverschwendung
Tobias Gumbert, M.A.
Wintersemester 2014/15
Email: tobiasgumbert@uni-muenster.de
Dienstag, 16.15-17.45 Uhr, R. SCH 100.125
Kommentar:
Der politische Wille zur Reduktion von ‚Food Waste’ in allen Segmenten der Nahrungsmittelkette scheint heute grundsätzlich nicht in Frage gestellt zu werden. Die Europäische Union hat unlängst das Jahr 2014 zum „European Year Against Waste“ ausgerufen und die Kommission möchte bis 2025 Lebensmittelabfälle um 50% reduzieren. Das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) und die UN-Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO) führen zusammen groß angelegte Kampagnen zur Reduktion von Lebensmittelverschwendung durch und auch auf nationalstaatlicher Ebene, zum Beispiel in Deutschland durch das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV) oder in Großbritannien durch das Waste und Resources Action Programme (WRAP), werden entsprechende Strategien verfolgt. Mittlerweile gibt es auf internationaler Ebene gar Pläne, ein „Global Food Loss and Waste Measurement Protocol“ ins Leben zu rufen, welches es Staaten ermöglichen soll, aktuelle Daten zur Nahrungsmittelverschwendung zu generieren und adäquate Reduktionsstrategien zu ergreifen. Woher kommt dieses plötzliche Interesse?
Schätzungen gehen davon aus, dass weltweit etwa 1/3 der produzierten Nahrungsmittel nicht dem menschlichen Konsum zugeführt werden. Die Relevanz des Themas begründet sich in ökologischer Hinsicht durch die mit der Lebensmittelverschwendung und der Produktion von Lebensmittelabfällen einhergehende Verschwendung von Ressourcen (Wasser, Boden etc.), von Energie und den Ausstoß klimaschädlicher Treibhausgase sowie in sozialer Hinsicht durch die Vergegenwärtigung immenser Distributionsprobleme, indem die Überproduktion von Nahrungsmitteln in manchen Teilen der Welt weiter zunimmt während weltweit nach Berechnungen der FAO immer noch 842 Millionen Menschen an Hunger und Unterernährung leiden. Vor diesem Hintergrund erscheint heute die Frage, welche Möglichkeiten es für verschiedene Akteure gibt, die Produktion von ‚Food Waste‘ politisch zu regulieren und zur Bearbeitung des Problems beizutragen, besonders dringend.
Eine politikwissenschaftliche Perspektive kann in diesem Zusammenhang zwei wichtige Beiträge leisten: zum einen können durch die Analyse gegenwärtiger Reduktionsstrategien spezifische Prozesse optimiert oder erweitert werden, indem genauere Daten über das Ausmaß und die Verbreitung von ‚Food Waste’ generiert und bereitgestellt werden sowie auf Basis dieses Wissens über effektivere Problemlösungen nachgedacht wird. Zum anderen kann eine politikwissenschaftliche Perspektive aber auch insofern einen Beitrag leisten, als dass sie ermöglicht, das Phänomen selbst sowie die Governance von ‚Food Waste’ in einen breiteren politischen und ökonomischen Kontext einzuordnen um somit die Entwicklungen kritisch zu prüfen. Welche Akteure sind in welchem Umfang an spezifischen Governance-Mechanismen beteiligt, welche Mittel setzen sie dabei ein, um ihre Ziele zu erreichen, und wem nützen eigentlich diese so geschaffenen Strukturen? ‚Food Waste’ gerät vor diesem Hintergrund sowohl als ökonomischer Austauschprozess zum Zwecke der Profitgenerierung als auch als politische Strategie der Regulierung und Organisation des Gemeinwesens in den Fokus der Analyse.
Um uns dem Thema zu nähern, werden wir uns zu Beginn des Seminars mit philosophischen und ethnologischen Beiträgen zum Umgang mit Überschuss und ‚Waste‘ in verschiedenen Gesellschaften beschäftigen und werden ferner anhand soziologischer und humangeographischer Ansätze ergründen, inwiefern ‚Waste‘, sowohl als Objekt als auch als Praxis, heute in spezifische globale Produktions-, Distributions- und Konsumnetzwerke eingebettet ist. Darauf aufbauend betrachtet das Seminar die Governance, also das öffentliche Management und die Steuerung, von Prozessen im Zusammenhang mit der Produktion von Nahrungsmittelabfällen und Verschwendungspraktiken. In verschiedenen nationalen Kontexten sowie auf internationaler Ebene wollen wir konkrete Programme, Reduktionsstrategien und Aktionsbündnisse nationaler Regierungen, internationaler Regierungsorganisationen, transnationaler Unternehmen und zivilgesellschaftlicher Akteure analysieren. Dabei stehen sowohl die Interessen und Motivationen dieser Akteure als auch die Effekte, die von ihrem Handeln ausgehen, im Mittelpunkt des Seminars.
Konkret werden sie in dem Seminar lernen: (i) wie polit-ökonomische und sozialwissenschaftliche Ansätze die Governance von Nahrungsmitteln und ‚Waste‘ untersuchen, (ii) welche methodischen Ansätze bestehen, ‚Food Waste‘ quantitativ zu berechnen und welche Datensätze dabei klassisch verwendet werden, (iii) wie ‚Food Waste‘ in verschiedenen Kontexten definiert wird und welche Auswirkungen diese Definitionen haben können (etwa auf die Beziehungen des Globalen Nordens zum Globalen Süden), sowie (iv) welche Governance-Modelle gegenwärtig angewendet werden, um ‚Food Waste‘ zu reduzieren, und welche Alternativen dazu auf (trans-)lokaler Ebene bestehen.
Leistungsanforderungen:
Studienleistung: zwei Essays, ein Kurzvortrag + Diskussionspapier oder eine Posterpräsentation.
Prüfungsleistung: Hausarbeit.
Literatur zur Einführung (Auswahl):
Alexander, Catherine; Gregson, Nicky; Gille, Zsuzsa. 2013. Food Waste, in Murcott, Anne; Belasco, Warren; Jackson, Peter (eds.). The Handbook of Food Research. London: Bloomsbury, pp. 471-483.
Baker, Susan. 2013. Governance. In: Death, Carl (Hg.). Critical Environmental Politics. London: Routledge, S. 100-110.
Davies, Anna R. 2008. The Geographies of Garbage Governance. Aldershot: Ashgate.
Evans, David; Campbell, Hugh; Murcott, Anne. 2013. Waste Matters. New Perspectives on Food and Society. Oxford: Wiley-Blackwell.
Fagan, G. Honor. 2003. Sociological Reflections on Governing Waste, in Irish Journal of Sociology, Vol. 12 (1), S. 67-84.
Parfitt, Julian; Barthel, Mark; Macnaughton, Sarah. 2010. Food Waste Within Food Supply Chains: Quantification and Potential for Change to 2050, in Philosophical Transactions of the Royal Society, Vol. 365 (1554), S. 3065-3081.
Phillips, Lynne. 2006. Food and Globalization, in Annual Review of Anthropology, Vol. 35, S. 37-57.
Stuart, Tristram. 2009. Waste. Uncovering the Global Food Scandal. London: Penguin Books.
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