Kommentar |
Wenn im allgemeinen wissenschaftstheoretischen Sinne unter Wissen jene gerechtfertigten und überprüfbaren wahren Meinungen verstanden werden, die entweder über sprachlich vermittelte Wahrnehmungen oder logische Ableitungen (Inferenzen) gewonnen werden und einen deskriptiven oder praktischen Charakter haben (was der Fall ist oder was getan werden soll), so ist in diesem klassischen Sinne das „Nichtwissen“ immer negativ gemeint als etwas, wovon kein Wissen abgeleitet werden kann. Existenzialanalytisch betrachtet ist gerade das „Nichtwissen“ das paradoxe Phänomen und die eigentliche produktive Quelle des Denkens und Wissens, das es immer etwas zu entdecken gibt, was es nicht selbst denken und wissen kann. Die Thematisierung des Phänomens des „Nicht-Wissens“ entwickelte sich in den letzten zehn Jahren aus dem Kontext der Zukunfts- und Katastrophenforschung und der Erforschung unabsehbarer Risiken der neuen Technologien heraus. Aber auch von der neurowissenschaftlichen Forschung her bekam sie immer wieder Impulse und entfaltete sich so schließlich zu einem neuen Wissenschaftszweig, der Agnotologie, die einen ganz neuen Blick und ein kritisches Verständnis von Wissen, Wissensansprüchen, der Wissensproduktion, den Wissenskulturen und den Grenzen der Wissenskontrolle und der daraus folgenden Wissenspolitik eröffnet. Das Seminar zielt zunächst – in seinem ersten einführenden Teil – ein basales Verständnis über Wissenskulturen und Diskurse des Nicht-Wissens zu vermitteln, um dann in seinem zweiten Teil die neuen sozialen Dynamiken von entwickelten Kulturen des Wissens und den verschiedenen Diskursen des Nicht-Wissens darzulegen. Im dritten Teil geht es anschließend darum, einige existenziale Formen der sozialen Anschlussfähigkeit des Nicht-Wissens zu erarbeiten bis hin zur Frage nach dem Recht auf passives und aktives Nicht-Wissen (Datenschutz, Überwachung, Kundenprofile, Gentests).
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