Aktuelle Lehrveranstaltung im Wintersemester 2014/15


Übung: Professoren in Weltuntergangsstimmung. Quellenlektüre zu den Konflikten an der Pariser Universität in der Mitte des 13. Jahrhunderts

(Belegbar für Vertiefungsmodul BA, Quellenlektüre sowie Sprachenübung MA, für IMAS etc.)

Die mittelalterliche Universität fasziniert seit langem die Forschung. Wer sich auf die anspruchsvollen Quellen zur Pariser Universität des Mittelalters einlässt, wird mit Einblicken in die Formierung professioneller Wissenschaft in Europa sowie in das Zusammenleben städtischer, studentischer und religiöser Gruppen belohnt. Wie wir heute wissen, war die Universität freilich nicht nur der Hort akademischer Freiheit und ‚Aufklärung im Mittelalter‘ (Flasch), den die ältere Forschung gerne suchte. Sie war gleichzeitig die wichtigste Ausbildungsmaschinerie der lateinischen Kirche, die sich im 13. Jahrhundert in dynamischem inneren Ausbau befand. An der Universität trafen sich also nicht nur Magister und Studenten der Theologie, Juristerei, Medizin und Artes liberales, sondern auch Mitglieder neuer und alter religiöser Orden sowie des Klerus. In der Stadt Paris verknüpften sich die universitären Kommunikationsräume zudem mit höfischen, kirchlichen und städtischen Öffentlichkeiten.
Prompt entbrannten in der Mitte des 13. Jahrhunderts Streitigkeiten zwischen verschiedenen Gruppen an der theologischen Fakultät. Man stritt um die Anzahl von Lehrstühlen, um zahlende Studierende und um Rechte des Klerus wie der neuen, asketischen Bettelorden der Dominikaner und Franziskaner. Die Konflikte provozierten sowohl wissenschaftliche wie hochgradig polemische Auseinandersetzungen, da sich die Kontrahenten teils im Medium der Theologie und des Rechts, teils in dem der (politischen) Prophetie angriffen und dramatische Weltuntergangsszenarien entwarfen, um Gegner religiös auszugrenzen. Diese Konflikte zeigen die Universität des Mittelalters nicht nur als Ort der Wissenschaft, sondern auch als religiösen, politischen und kulturellen Resonanzraum.
Im Rahmen der Übung sollen an den Konflikten zwischen Weltklerus und Bettelorden, die zwischen 1250 und 1260 an der Universität tobten, exemplarisch verschiedene Bezugsfelder der Universität Paris vorgestellt werden. Diese Streitigkeiten erlauben, sowohl Strukturen der Universität wie der neuen und alten religiösen Orden und des Klerus kennenzulernen, und eine Vielzahl unterschiedlicher Quellengattungen miteinander in Verbindung zu bringen. Im Verlauf der Übung sollen verschiedene Quellen gelesen werden, die um den Anführer der klerikalen Partei, Wilhelm von St. Amour, sowie um den Dominikaner Thomas von Aquin und den Franziskaner Bonaventura kreisen. Aus ihren Texten sollen die Kontexte und einzelnen Schritte des Konfliktes nach und nach erschlossen werden. Während schrittweise ein Bild der Abläufe der 1250er Jahre entsteht, sollen gleichzeitig quellenkritische Fähigkeiten geübt werden. Einige der Texte werden aus dem Lateinischen zu übersetzen sein, so dass funktionale Lateinkenntnisse Voraussetzung für eine Teilnahme sind. Die Fähigkeit zur Lektüre englischer Sekundärliteratur wird ebenfalls vorausgesetzt. Es werden regelmäßig Quellentexte oder kurze Ausschnitte aus der Sekundärliteratur als Hausaufgabe vorzubereiten sein.

Literatur: Ian P. Wei, Intellectual Culture in Medieval Paris: Theologians and the University, c. 1100-1330 (Cambridge University Press, 2012); William of Saint-Amour, De periculis novissimorum temporum, ed. & trans. by Guy Geltner, Dallas Medieval Texts and Translations, 8 (Paris - Leuven - Dudley/Massachusetts: Peeters, 2008).