BARBARA SASSE TATEO, Die Zitierung kommunaler Register in den Chroniken des Galvaneo Fiamma , in: Kommunales Schriftgut in Oberitalien. Formen, Funktionen, Überlieferung, hg. v. Hagen Keller und Thomas Behrmann (Münstersche Mittelalter-Schriften Bd. 68) München 1995, S. 283-303.




Die Zitate aus den 'Registern der Panigarola', die in den Chroniken des Mailänder Dominikaners Galvaneo Fiamma aus dem ersten Drittel des 14. Jahrhunderts enthalten sind, bieten eine wichtige und in ihrer Ausführlichkeit einzigartige Quelle für die Kenntnis des heute verlorenen liber iurium der Mailänder Kommune. Fiammas Angaben zufolge lagen im frühen 14. Jahrhundert in Mailand zwei unterschiedliche städtische Rechtssammlungen vor, nämlich die privilegia antiqua comunitatis und das registrum potestatum de Mediolano, die beide von der Familie der Panigarola verwaltet wurden. Von diesen Sammlungen darf die erstgenannte mit dem liber iurium gleichgesetzt werden, dessen für das 12. Jahrhundert zu erschließender Kernbestand und nachfolgende Ergänzungen sich in Umrissen nachzeichnen lassen und der mutmaßlich um die Wende vom 13. zum 14. Jahrhundert neu redigiert wurde. So enthielten die von Fiamma eingesehenen Register Abschriften von Dokumenten - sowohl herrscherliche Privilegien als auch Verträge Mailands mit umliegenden Gemeinwesen -, die zeitlich die gesamte Entwicklung der Kommune abdecken, von den Kämpfen gegen Kaiser Friedrich Barbarossa in der zweiten Hälfte des 12. sowie gegen Friedrich II. in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts bis zur allmählichen Auflösung der kommunalen Regierungsform in der Signorie seit dem ausgehenden 13. Jahrhundert. Die Gegenüberstellung der meist ausführlichen Zitate Fiammas mit den heute größtenteils noch vorliegenden Urkunden liefert über weite Strecken einen Beweis für die Vollständigkeit und Authentizität seiner Vorlage; zugleich treten allerdings an einigen Stellen auch Abweichungen auf, hinter denen sich eine gezielte 'Manipulation' der stadtgeschichtlichen Überlieferung im Interesse der zu Fiammas Zeit regierenden Stadtherren der Visconti abzeichnet. Neben solchen Zitaten, bei denen der Verfasser seine Quelle ausdrücklich benennt, gibt es in seinen Chroniken auch Hinweise auf stillschweigende Entlehnungen aus kommunalen Büchern; dabei ist neben dem liber iurium, der das vertraglich ausgehandelte Recht der Kommune umschloß, insbesondere auch das schon erwähnte registrum potestatum zu berücksichtigen, das wahrscheinlich mit dem von Fiamma als solchem nicht erwähnten Statutenbuch in Verbindung zu bringen ist, von dem gleichfalls nur eine späte Redaktion (von 1396) auf uns gekommen ist. Die Auswahl der Zitate schließlich, die Fiamma trifft, läßt deutlich einen Bezug zu den aktuellen politischen Zuständen, dem Konflikt der Visconti mit der Kurie in Avignon, erkennen, indem diesen historisch fundierte Argumente zur Verteidigung ihres Anspruchs auf die Stadtherrschaft an die Hand geliefert werden.