PETER LÜTKE WESTHUES in Zusammenarbeit mit PETRA KOCH, Die kommunale Vermögenssteuer ('Estimo') im 13. Jahrhundert. Rekonstruktion und Analyse des Verfahrens, in: Kommunales Schriftgut in Oberitalien. Formen, Funktionen, Überlieferung, hg. v. Hagen Keller und Thomas Behrmann (Münstersche Mittelalter-Schriften Bd. 68) München 1995, S. 149-188.




Die Steuererhebung in den italienischen Kommunen ist ein markantes Beispiel für den systematischen Einsatz von Schriftlichkeit. Die einander ergänzenden, nur teilweise edierten Lokalüberlieferungen aus Chieri und Pavia sowie die vergleichend herangezogenen Belege aus Vercelli erlauben es, den Ablauf des 'Estimo' zu rekonstruieren und zu analysieren. Obwohl in Typ und Provenienz heterogen, lassen sich die Quellen zu einem einheitlichen Bild zusammenfügen. Sie dokumentieren ein Verfahrens, das unter dem Leitprinzip einer gerechten Verteilung der Steuerlasten stand. Für die Umsetzung dieses Anspruchs entwickelten die Kommunen ein mehrstufiges, eng verzahntes und rational angelegtes System von Verwaltungsvorgängen, das auf der schriftlichen Registrierung aller steuerrelevanten Daten beruhte. Um einen gesamtheitlichen Überblick über die besteuerbare Vermögensmasse zu gewinnen, führte man Verzeichnisse, in denen die in den 'Steuererklärungen' enthaltenen Einzelangaben der Steuerpflichtigen insgesamt zusammengefaßt wurden. Die Richtigkeit dieser Angaben konnte sowohl innerhalb des Besteuerungsverfahrens selbst nachgeprüft werden, etwa durch die parallele Verzeichnung von Pachtsummen bei Pächter und Verpächter oder von Darlehen bei Schuldner und Gläubiger, als auch extern mittels Urkunden und Büchern aus anderen Verwaltungsbereichen der Kommune. Mit Spezialverzeichnissen, die einzelne, unter verschiedenen Aspekten benötigte Daten umfassend registrierten, entstanden neue Buchtypen: Schätzsummenregister, Schuldner- und Gläubigerbücher, Verzeichnisse der Steuereinnahmen und der Steuerschuldner. Sie erlaubten den gezielten Zugriff auf Sonderangaben. Die verschiedenen Bücher wurden laufend aktualisiert, um für die jeweilige Steuererhebung vollständige und zuverlässige Informationen abrufen zu können. Die Schriftlichkeit des kommunalen Estimoverfahrens kennzeichnet eine neue Stufe in der Organisation von Verwaltungswissen, die dem Anspruch einer gerechten und den aktuellen Erfordernissen angepaßten Besteuerung Rechnung trug.