CLAUDIA BECKER, Beiträge zur kommunalen Buchführung und Rechnungslegung, in: Kommunales Schriftgut in Oberitalien. Formen, Funktionen, Überlieferung, hg. v. Hagen Keller und Thomas Behrmann (Münstersche Mittelalter-Schriften Bd. 68) München 1995, S. 117-148.




Die Entwicklung der kommunalen Rechnungsführung in Italien vom 12. bis zum frühen 14. Jahrhundert vollzog sich in mehreren Stufen, in denen sich die Verzeichnisse der Einnahmen und Ausgaben von einfachen Registern über von der Kommune vorgeschriebene und von ihr genau kontrollierte Bücher zu Instrumenten einer zunehmend nach Effizienz strebenden Verwaltung wandelten. Am Anfang dieser Reihe standen halboffizielle Aufzeichnungen des Schatzmeisters, die dieser allein zum eigenen Überblick und als Grundlage für seinen mündlich im Rat oder in der Gemeindeversammlung vorzutragenden Rechenschaftsbericht führte. Nahm die Kommune damit nur eine Kontrolle der Verwaltung, nicht aber der Buchführung im eigentlichen Sinn vor, so änderte sich dies seit der Wende zum 13. Jahrhundert mit dem Erlaß von Statuten zur Führung von Rechnungsbüchern grundlegend. Dieser Institutionalisierung der schriftlichen Finanzverwaltung folgte bald die Einrichtung einer ebenfalls schriftlichen Kontrolle der Einnahmen- und Ausgabenverzeichnisse durch die Kommune. Mit der Anlage zusätzlicher Spezialverzeichnisse und der Verzahnung aller Bücher durch Querverweise entwickelte sich im Bereich der kommunalen Finanzverwaltung allmählich ein immer differenzierterer Apparat von Verwaltungsschriftgut, in den die regelmäßige und formgerechte Buchung der Einnahmen und Ausgaben als integraler Bestandteil eingebunden war.

Während aus der ersten, "registrierenden" Phase kommunalen Rechnungswesens nur ausnahmsweise einmal einige Zeugnisse erhalten sind (Piacenza), ist mit der Einführung der Kontrolle durch die Kommunen ein deutlicher Anstieg der Überlieferung von Dokumenten aus der Finanzverwaltung zu verzeichnen. Dieser entscheidende Wendepunkt erklärt sich nun nicht mehr aus dem Schriftgut selbst, sondern aus der innerstädtischen Situation, in der jene massive Einflußnahme der Kommune auf Anlage, Form und Kontrolle der Rechnungsbücher aufkam. Zur Zeit der nur registrierenden Buchführung lag die Finanzverwaltung ganz in den Händen der allein regierenden Konsulatsaristokratie, doch seit dem Ende des 12. Jahrhunderts erhob der Popolo zunehmend Einfluß auf die Leitung und Verwaltung der Kommune allgemein und speziell auf die Finanzverwaltung. Diese neue Gruppe forderte eine Offenlegung des Umgangs mit kommunalen Geldern, was nur durch die schriftliche Aufzeichnung aller Einnahmen und Ausgaben und deren Überprüfung durch unabhängige Gremien gewährleistet war. Um auch eine nachträgliche Kontrolle jederzeit zu ermöglichen, mußten die Rechnungsbücher nun von den Kommunen dauerhaft aufbewahrt werden.

Vor diesem Hintergrund ist die Entwicklung des kommunalen Rechnungswesens in Italien auch mit den oft wesentlich später einsetzenden Rechnungen aus Städten nördlich der Alpen zu vergleichen. Hier stammen viele der ältesten erhaltenen Rechnungen aus der Zeit der Zunftkämpfe, die sich nicht selten an der Unzufriedenheit mit der durchweg geheimen Verwaltung der kommunalen Gelder durch die regierenden Geschlechter entzündet hatten. In dieser Situation wurden Forderungen nach sorgfältiger schriftlicher Buchführung und nach einer Kontrolle der Finanzen durch unabhängige Kommissionen erhoben und durchgesetzt. Nördlich wie südlich der Alpen bildeten demnach innerstädtische Auseinandersetzungen und der Versuch einer internen Lösung der Konflikte den Anlaß einer zunehmenden Verschriftlichung im Bereich der Finanzverwaltung.