Melancholia pasqualis
3. Ostersonntag A: Joh 11, 1- 45
I
Viele unserer vertrauten Osterlieder haben wie selbstverständlich einen triumphalistischen Zungenschlag:
Das Grab ist leer, der Held erwacht:
Der Heiland ist erstanden;
Da sieht man seiner Gottheit Macht,
sie macht den Tod zuschanden.
So auch in der jüngsten Ausgabe des Gotteslobes. In meiner südlichen Heimat gibt es Lieder, die setzen in barocker Manier noch eins darauf:
Der Heiland erstand […]
Der Morgen erwacht zu himmlischer Pracht,
die Felsen erkrachen,
es stürzen die Wachen
und Jesus erstehet vom Grabe empor
und herrlicher geht er siegreich hervor.
Usw.
II
Nur – irgendwie passt das nicht zum Ton der biblischen Ostergeschichten, zu keiner, und schon gar nicht zu denen aus dem Johannesevangelium, zumal derjenigen, die wir soeben gehört haben und mit der das vierte Evangelium endet. Sie umgibt vielmehr so etwas wie eine behutsame Zurückhaltung, ja im Grunde ein Hauch von Melancholie. Woher kommt das?
III
Petrus, Thomas und die anderen Jünger Jesu sind offenbar aus Jerusalem zurückgekehrt in ihre Heimat, an den See Gennesaret, wo sie Fischer waren. Sie hatten auch ein Abenteuer hinter sich, und was für eines! Hatten Haus, Hof und Beruf verlassen, waren mit diesem Jesus gezogen, der vom Gottesreich predigte, waren mit ihm am Ende in Jerusalem in Bedrängnis geraten, waren schließlich geflohen, mit einer Ausnahme geflohen. Er selbst war umgekommen, hingerichtet als Aufrührer. Schönes Abenteuer! Jetzt standen sie wieder dort, wo sie angefangen hatten, nur unendlich ärmer als sie je vorher gewesen waren. Sie hatten am Karfreitag die Hoffnung eingebüßt, ohne die man eigentlich gar nicht leben kann: die Hoffnung, dass das Böse nicht das letzte Wort behalten, die Gerechtigkeit nicht vergeblich sein und Gott kein leeres Wort bleiben werde. – Ich gehe fischen, sagt Petrus, und man hört darin bis heute den Abgrund der Resignation mitschwingen, in den die Jünger gestürzt waren. Kein Wunder, dass ihre Arbeit in dieser Nacht auch keinen Erfolg hatte. Wie auch soll etwas gelingen, wenn ich schon mit der Überzeugung herangehe: Hat ja sowieso alles keinen Sinn!
Irgendwie erinnert mich die Stimmung, die über dieser biblischen Szene liegt, an das, was wir schon des längeren auch in unserer Kirche erleben: das bleierne Gefühl der Zwecklosigkeit vieler so gut gemeinter Initiativen, die den Schwund der Gemeindeglieder nicht zu stoppen vermögen. Oder die offenkundige Hilflosigkeit, den von den Bischöfen weiß Gott wie oft angekündigten Dialog mit den Gläubigen und der Gesellschaft in Gang zu bringen. Oder, dass Reformbemühungen selbst des Papstes von Teilen der Bischofskonferenzen und der Kurie abgeblockt werden. Manchmal hat man das Gefühl: Du kannst machen, was du willst. Es nützt eh nichts. Der kirchliche Großtanker fährt seinen Kurs weiter, Eisberg hin oder her. Und wenn die kirchliche Sicht an der Wirklichkeit vorbeigeht – dann hat die Wirklichkeit halt Pech gehabt.
IV
Doch, halt, wie war das am See damals? Einem Fremden, der sie in der Früh um etwas zu essen fragt, können sie darum auch nichts anbieten. Ihm zuliebe, weil er sie dazu auffordert, werfen sie das Netz trotzdem noch einmal aus, obwohl das jetzt bei Tagesbeginn erst recht vergeblich sein musste – nur in der Nacht lassen sich die Fische täuschen. Aber ihm, dem Fremden zuliebe, tun sie es, wenigstens ihren guten Willen soll er sehen. Und als sie das Netz wieder einholen, schaffen sie es nicht, so viele Fische sind darin.
Spontan ahnen sie: Wenn es mitten in unserer hoffnungslosen Situation, mitten in unserem banalen Werktag solche Momente gibt, sind das nicht Hinweise, dass gegen den äußeren Anschein doch nicht alles ins Sinnlose mündet, also auch Jesus nicht widerlegt wurde und darum im Tod nicht unterging? Ist es vielleicht niemand anderer als er selber, der sich in solchen unvorhergesehenen Momenten als der Lebendige und der Nahe zu erkennen gibt. Der Lieblingsjünger, verrückt wie nur Liebe ist, behauptet das darum frei weg: Es ist der Herr! Die anderen glauben es einfach einmal – und sie spürten es auch. Aber gleichzeitig waren sie befangen, so dass sie nicht näher zu fragen wagten: Wer bist du? Es scheint so, dass er es ist, aber kann das wirklich sein? Fragen, die bis heute Fragen der Christen, auch die unseren sind.
Und dann noch so etwas Seltsames. Als sie ans Ufer kommen, brennt dort schon ein Kohlenfeuer mit Fisch und Brot darauf. Er, der doch zuvor sie um etwas zu Essen gebeten hatte, – er hat offenkundig jetzt für sie schon etwas bereitet. Auf das, was sie gefangen haben, kommt es also anscheinend gar nicht so sehr an. Die Erfahrung, gegen alle Enttäuschung in Treue und gutem Willen das Ihre zu tun und dann zu erleben, dass ebendies nicht sinnlos ist, war das das eigentlich Wichtige? So ist es wohl: Er nahm das Brot, gab es ihnen, ebenso den Fisch. Das erinnerte sie an den Gründonnerstag. Und sie wissen, was es bedeutet: Er gibt ihnen alles, was er zu geben hat, sich selbst – jetzt als der Österliche, der also, dessen Leben unzerstörbar ist.
V
Die Jünger sind dort, wo sie immer schon waren. Aber alles einschließlich ihrer selbst ist anders geworden: Äußerlich tun sie das Gleiche wie früher. Von innen gesehen ist es ein neues Leben: Mitten in der Unauffälligkeit ihres Werktags wissen sie sich als Beschenkte: Von Gott durch Jesus beschenkt mit der Gewissheit, dass er für sie mehr als genug übrig hat. Und dass es darum am Wichtigsten – dass alles seinen Sinn und Grund hat – nicht fehlen wird.
Rainer Maria Rilke hat diese stille Zuversicht einmal wunderbar in Verse gefasst, als er schrieb:
Du, Nachbar Gott, wenn ich dich manchesmal
in langer Nacht mit hartem Klopfen störe, –
so ist´s, weil ich dich selten atmen höre
und weiß: du bist allein im Saal.
Und wenn du etwas brauchst, ist keiner da,
um deinem Tasten einen Trank zu reichen:
Ich horche immer. Gib ein kleines Zeichen.
Ich bin ganz nah.
Nur eine schmale Wand ist zwischen uns,
durch Zufall; denn es könnte sein:
ein Rufen deines oder meines Munds –
und sie bricht ein
ganz ohne Lärm und Laut.
Aus deinen Bildern ist sie aufgebaut.
Und deine Bilder stehn vor dir wie Namen.
Und wenn einmal das Licht in mir entbrennt,
mit welchem meine Tiefe dich erkennt,
vergeudet sichs als Glanz auf ihren Rahmen.
[…]