Lebensqualität

18. So C: Koh 1,2; 2,21-23  + Lk  12,31-21

   
I
Ein Städter machte Urlaub in einem Fischerdorf. Beim Spazierengehen trifft er auf einen Fischer. Der lehnt am helllichten Vormittag an seinem Boot und genießt die Sonnenstrahlen. – So, nichts mehr zu tun heute?, fragt der Fremde. – Ich hab’ schon gearbeitet, antwortet der Fischer. – Aber Sie könnten doch auch jetzt weitermachen. – Warum? – Sie würden mehr Fische fangen! – Wozu? – Sie würden mehr verkaufen und größeren Gewinn machen. – Wofür? Sie könnten ein zweites Boot anschaffen und ein paar Männer einstellen. – Und dann? – Dann ginge das Geschäft noch besser. – Ja, und dann? – Dann könnten Sie sogar ein Fischlokal aufmachen? – Und dann? – Dann bräuchten Sie nicht mehr zu arbeiten, Sie könnten sich an den Strand setzen und auf das Meer hinausschauen. – Aber das tue ich doch jetzt schon, sagte darauf der Fischer.

II
Die Anekdote ist alt, ihre Wahrheit noch viel älter. Geglaubt wird ihr selten. Schon im dritten Jahrhundert vor Christus erinnert Kohelet, der geheimnisvolle predigende Skeptiker des Alten Testaments, daran, wie oft eine oder einer ihr ganzes Können und Wissen aufbieten – und dann müssen sie alles einem anderen überlassen, der keinen Finger gerührt hat dafür, weil der Lebensfaden abgespult ist. Warum tust du dir so viel Ärger und Sorge auf, bis dahin, dass du nicht einmal mehr schlafen kannst? Wie ein Windhauch sind deine Güter. Zuerst plagst du dich, sie zu gewinnen. Genießt du sie dann, zerrinnen sie. Sparst du sie aber auf, verlierst du sie auch, weil du, ehe du dich’s versiehst, zu gehen hast. Was also plagst du dich für nichts?

III
Die Juden haben diese Frage in Gestalt des Buches Kohelet in ihr Buch des Glaubens aufgenommen. Diese Frage auch nur zu begreifen und dann entsprechend zu beantworten, hat mit Gott zu tun, wollten sie damit sagen. Das heutige Evangelium sagt uns, wie und warum das der Fall ist.

Jesus wird in einer Erbsache angegangen. Er soll Schlichter sein zwischen zwei Brüdern, deren einer dem andern das gesetzliche Erbteil vorenthält. Jesus lehnt dieses Richteramt ab, er weiß sich zu anderem gesandt: Von dem zu reden, was solchen Schlichterspruch überflüssig macht: nämlich die Güte und die Großzügigkeit, in denen sich nichts Geringeres als Gottes freigebige Zuwendgung, seine Gnade also, auf menschliche Weise spiegelt. Darum belässt Jesus es nicht bei einer Warnung vor der Habgier, sondern bringt seinen Hörerinnen und Hörern nahe, warum Widersinn wäre, wollten sie von ihrem Besitz Bestand ihres Daseins erwarten, selbst wenn sie im Überfluss lebten. Das tut Jesus – fast möchte ich sagen: natürlich – mit einem Gleichnis.

Ein reicher Mann hat eine gute Ernte zu erwarten. Es geht ihm nicht schlecht, und jetzt kann er noch mehr horten. Im Selbstgespräch geht er mit sich zu Rate. Das Ergebnis: Ich werde größere Scheunen bauen. Denn wenn ich alles aufhebe, kann ich mir selber sagen: Jetzt lass es dir gut gehen. Jetzt hast du ausgesorgt. Was kann mir noch passieren? Aber – was geschieht da genau? Klar: Wer so redet wie der Reiche im Gleichnis, macht sich Mut. Also hat er Angst. Angst um sich. Der reichen Ernte traut er zu, ihn zu befreien davon.

Doch in dieses Kalkül seines Selbstgesprächs redet ihm Gott hinein. Die Anrede schon benennt den Ursprung des Irrtums, in den der Reiche sich verstrickt hat: Du Narr! „Narr“ heißt in der Sprache der Bibel, speziell der Psalmen, nicht „Dummkopf“, sondern, „Narr“ heißt, wer Gott vergisst. – Noch in dieser Nacht wird man dein Leben von dir fordern. Und was ist dann mit deinen Schätzen? Gott nicht vergessen heißt: Eingedenk sein, dass ich mich nicht mir selbst verdanke und darum auch nicht selbst erhalte. Wer darum weiß, wird von toten Sachen nicht erwarten, dass sie ihm Bestand verleihen. So muss er auch nicht mehr horten, wird frei und freigebig umgehen mit dem, was ihm zufällt. Muss er doch keine Angst mehr haben, er würde an Leben einbüßen, wenn er nicht alles ergriffe, was sich bietet.

IV
Sterben werde ich einmal, und nichts nehme ich mit. Oder mit einem deftigen Wort von Papst Franziskus: Auf deinem letzten Weg brauchst du keinen Möbelwagen mehr. Wie jede Wahrheit macht auch diese frei. Jede und jeder kennt sie. Ihr standhalten, gar ihr zustimmen, ohne schwermütig zu werden, kann nur, wer Stand fasst in anderem als in Dingen, die man haben kann. Solches Standfassen nennen wir Glaube. Gläubiges Eingedenken Gottes allein bewahrt vor dem Trug des Mannes mit der Scheune.

So hängen in Jesu Augen Gott und Geld zusammen. Vergesse ich den einen, wird mir das andere immer wichtiger werden. Legen wir das einmal als Maßstab an dafür, was heute so läuft in der Gesellschaft und zuweilen auch in der Kirche, dann bleibt als Fazit allein dies: dass sich in unseren stinkreichen Breiten ein Gottvergessen ausgebreitet hat, wie es noch keines gegeben hat in der Geschichte, solange Menschen sind. Anders lässt sich nicht begreifen, dass alles – Natur und Gesundheit und gute Sitten fast wie selbstverständlich zurückzutreten haben, wenn es um Gewinn, Wirtschaft und Waren geht. Wir haben uns daran gewöhnt. Wie der aus dem Gleichnis in seinem Selbstgespräch. Und wie er blind für das Selbstverständliche, weil blind für uns selbst.

V
Wie er, brauchen auch wir einen, der uns dazwischenredet. Wer glaubt, hat jemanden dazu. Jesus weckt ihr oder ihm das Gottesgedächtnis. Wer sich dem nicht sperrt, dem fällt nicht nur die Last des „immer mehr“, „immer größer“, „immer weiter“ von der Schulter. Wie der alte Kohelet wird er zugleich ein Gespür für den Geschmack der kleinen alltäglichen Dinge gewinnen, mit denen ihn das Leben beschenkt:

Iß freudig dein Brot und trink vergnügt deinen Wein;
denn das, was du tust, hat Gott längst so festgelegt, wie es ihm gefiel. Trag jederzeit frische Kleider, und nie fehle duftendes Öl auf deinem Haupt,
heißt es da etwa. Oder aber:
Mit der Frau, die du liebhast, genieße das Leben alle Tage deines Lebens voll Windhauch, die er dir unter der Sonne geschenkt hat... Alles, was deine Hand, solange du Kraft hast, zu tun vorfindet, das tu! Denn es gibt weder Tun noch Rechnen noch Können noch Wissen in der Unterwelt, zu der du unterwegs bist,
so gegen Ende des Kohelet-Buches. Wer nicht mehr nur sammelt und projektiert und kalkuliert, der hat Zeit und Sinn für das, was jetzt ist. Und jetzt. Er vertagt sein Leben nicht mehr wie der im Gleichnis. Er lebt das Leben. Lebt es jetzt. Das ist eine Kunst. Der Glaube lehrt sie. Das Vergängliche ist ihm wichtig, weil es ihm um die Ewigkeit geht. Man kann beides immer nur zusammen haben. Das übrigens macht unseren Glauben so menschlich – und darum glaubwürdig.

VI
Vielleicht tut es mancher und manchem von Ihnen gut, diesen doppelten Zwischenruf Kohelets und Jesu aus unserem letzten Gottesdienst hier vor der Sommerpause mit in die kommenden Wochen zu nehmen, die für viele Ferien- und Urlaubszeit sein werden. Man kann ja auch mit der Zeit, die einem geschenkt ist, gerade so umgehen wie der Reiche aus dem Gleichnis mit der Ernte: Sammeln und Horten, sammeln und horten und noch einmal sammeln und horten, damit ich möglichst viel schaffen, möglichst viel erleben und dabei vielleicht andere auch noch überflügeln kann, weil ich die Zeit der Muße doch wieder für Arbeiten genutzt habe oder so viele Events in mein Leben stopfe, wie sie locker für zwei Lebensspannen reichen würden. Und am Ende fühle ich mich genauso erschöpft und leer wie zuvor.

Vielleicht wäre gut, einfach das Kohelet-Büchlein mit seinem Humor und seiner feinen Ironie mit in den Liegestuhl, auf den Balkon oder an den Strand mitzunehmen. Er würde uns gewiss helfen, die Augen unserer Seele für das Wesentliche wieder sehender zu machen.