Auferstehung auf Dauer gestellt

Ostermontag B: Apg 2, 14. 22-33 + 1 Kor 15,1-8. 11 + Lk 24, 13-35

I
Schon sind die Heiligen Drei Tage wieder vorüber. Aber Ostern dauert länger: 50 Tage nehmen wir uns Zeit, das Glück der Nacht der Nächte gleichsam einsickern zu lassen in unsere Seelen. In besonderer Weise gilt das von heute, dem Ostermontag, dem ersten Tag nach dem Hochfest. Mit ihm beginnt eine Zeit des besonderen Hinhörens, nein besser: Hineinlauschens in die Worte der Heiligen Schrift, weil eben das der Ort ist, an dem wir dem Auferstandenen unmittelbar begegnen.

Jesus ist ins Kerygma, also in die Verkündigungsbotschaft hinein auferstanden, sagte der evangelische Neutestamentler Rudolf Bultmann einmal – und handelte sich dafür wütende Proteste ein. Man hat ihm deshalb vorgeworfen, die Auferstehung zu leugnen. Jahre später legte der katholische Alttestamentler Manfred Görg nach mit der These, um an die Auferstehung Jesu zu glauben, brauche man keine einzige Zeile des neuen Testaments zu kennen, weil sie sich bereits aus dem Alten Testament ergebe. Proteste blieben aus, weil die meisten Zeitgenossen das für schieren Unsinn hielten, über den es sich nicht nachzudenken lohne – und die meisten überhaupt nicht ahnten, was das für eine revolutionäre Einsicht war.

II
Und trotzdem hatten beide in einem tiefen Sinn Recht. Alle drei Lesungen von heute stützen diese Ansichten: Am bündigsten Paulus mit seiner mehrfach wiederholten Formel, Sterben und Auferstehen Jesu seien „gemäß der Schrift“ geschehen, also im Tenach, der Bibel des Judentums, angekündigt. Petrus in seiner Pfingstpredigt beruft sich auf David, näherhin auf den ihm, dem Dichterkönig, zugeschriebenen Psalm 16. Und im Emmaus-Evangelium bringt Jesus den beiden Jüngern das Ostergeheimnis nahe, indem er ihnen darlegte,
ausgehend von Mose und allen Propheten – also wiederum der Bibel der Juden – was in der gesamten Schrift über ihn geschrieben steht.
Man kann das auch so sagen: Wer sich tief genug auf die Worte des von uns Christinnen und Christen so genannten Alten oder Ersten Testaments einlässt, kann gar nicht anders als das österliche, neue Leben des Gekreuzigten zu glauben.

III
Huub Osterhuis, weltweit bekannt für seine wunderbaren geistlichen Gedichte und Lieder, hat das auf der Umschlagseite seines jüngsten Werkes mit dem Titel "Sei hier zugegen", einer poetischen Nacherzählung des Lebens Jesu, feinsinnig ins Wort gebracht. Da heißt es:

Ich dachte dich. Sog dich in meine Seele, mein Herzgedächtnis: dein Dasein, kurze Zeit in dieser Welt, von dir gesproch´ne Worte, dein Tod und was danach, dein Gott und Vater.

Ergründen wollt ich, was ich mit dir habe.
Ich wog die Texte, die um dich gewoben.

Ich dachte dich lebendig. Mein Verstand
gebot mir, dir voll Sehnsucht nachzueilen,
dort wo du, Erster aus den Toten, wohnst
in Ihm, der heißt „Ich werde da sein, keine Angst!“

In Seinem Namen hör ich dich, sing dich
lebendig. Für die Welt ein Neubeginn.

Daran hängt es: Ich wog die Texte, die um dich gewoben. Texte, deren oft weit ausgespannte Fäden zurücklaufen in den Knoten des Gottesnamens, den Mose auf dem Horeb zu hören bekam, das "aeh-jae asher aejah", zusammengezogen im Tetragramm JHWH, das Osterhuis so treffsicher übersetzt mit „Ich werde da sein, kein Angst“. Anders gewendet: Wenn Gott wirklich so ist, wie er sich da am Dornbusch nennt, dann kann sein Jesus nicht im Tod geblieben sein. Und dann kann auch jener tiefste Anlass des Sündenfalls in der Schöpfungsgeschichte, die Angst des Menschen, von Gott etwas an Leben vorenthalten zu bekommen, nicht das letzte Wort behalten.

IV
Dieses Texte-wiegen, von dem Osterhuis da spricht, ist nichts anderes als eine geistliche Übung, die Ignatius von Loyola, der Gründer des Jesuitenordens in seinen Exerzitien seinen Ordensgenossen ans Herz legte. In der Sprache seiner Zeit hieß das: Die Worte der Schrift verkosten und verspüren, also ihnen mit Geist und Herz, intellektuell und affektiv nachspüren, dass sie gleichsam auf die eigene Seele abfärben. Osterhuis war das tief vertraut, weil er einst selbst Jesuit war. Aber auch die Anfechtung der Angst musste er kennen lernen, als er den Orden verließ, heiratete und Vater wurde. Da verfiel er der damnatio memoriae. Man wollte ihn – unerachtet seiner geistlichen und theologischen Kompetenz – auf offiziellen katholischen Foren auslöschen. Darum gab es Bestrebungen, ins neue Gotteslob von 2013 auch die von ihm getexteten Lieder nicht mehr aufzunehmen. Aufmerksame Zeitgenossen haben das verhindert, fünf Lieder sind erhalten geblieben. Welch ein erbärmliches Zeichen der Angst zu meinen, dass geistliche Worte von jemanden in die Irre führen könnten, nur weil er nicht mehr den eingespielten klerikalen Mustern entspricht! Da steht im Tiefsten nichts anderes dahinter als ein Misstrauen in den Gottesnamen vom Dornbusch. Kann gut sein, dass Osterhuis´ Übersetzung des Tetragramms mit „Ich werde da sein, keine Angst“ einer erstpersönlich geprägten Situation entsprang.

V
Etwas Besonderes ist das trotzdem nicht. Ostern hat immer mit dem Kampf gegen die Angst zu tun. Das war von Anfang an so. Auch als der Petrus am Pfingsttag seine Osterpredigt hielt, die ihren Kern darin hat, dass er sich auf David beruft und – wie schon erwähnt – dessen 16. Psalm sozusagen als Auferstehungsbeweis anführt, da musste er, der seinen Herrn einst dreimal verraten hatte vor lauter Schiss, wohl alles zusammennehmen, wie man so sagt. Und er tat es und rezitierte diesen 16. Psalm (ich folge hier dem Wortlaut der Übersetzung des Rabbiners Ludwig Philippson):

Stets habe ich den Ewigen vor Augen, denn er steht mir zu Rechten, ich wanke nicht. – Darum freut sich mein Herz, frohlockt mein Inneres, ja, sicher ruht mein Leib. Denn nicht überlässt du mich der Scheol, lässt nicht deinen Getreuen schauen die Grube. – Den Pfad des Lebens wirst du mir kundtun: Fülle der Freude ist vor deinem Antlitz, Wonne in deiner Rechten immerdar.
Und weil der David, der dies sagte, gestorben ist, wie sein Grab belegt, das allen bekannt ist, kann er das nur prophetisch über einen gesagt haben, der nach ihm kommt und von dem gelten wird:
Er gibt ihn nicht der Unterwelt preis,
und sein Leib schaut die Verwesung nicht.

VI
Das alles schließt Petrus aus dem Alten Testament. Für Paulus zuvor gilt Ähnliches. Auf den Nenner gebracht: Die Apostelfürsten (wie man so sagt) haben Ostern aus der Schrift gelernt. Das ist auch unser Weg. Aber wir haben noch eine Hilfe, jene, die auch den beiden Jüngern von Emmaus gewährt war. Sie erkannten den Herrn, als er das Brot brach, also die Urszene dessen wach rief, wofür er im Tiefsten steht: das Abendmahl, dessen Mitte die Fußwaschung war. Das Brotbrechen im Gedenken an Jesus ist darum so etwas wie Ostern auf Dauer gestellt. Es besiegelt, dass Christinnen und Christen versuchen, aus der Liebe und die Liebe zu leben. Oft mag es daneben gehen. Aber im Brotbrechen liegt jedes Mal ein neuer Anfang.

VII
Osterhuis hatte auch das im Blick, als er sein Lied vom Brot niederschrieb:

Das Lied vom Brot
Das Brot, aus der Erde gewonnen, das Brot, von Händen gemacht,
das Brot schmeckt nach Menschen und Tränen, das Brot einer schlaflosen Nacht.
Das Brot des Kriegs und des Friedens, das täglich gleiche Brot,
das fremde Brot einer Liebe, das steinerne Brot im Tod.
Das Brot, das wir teuer verdienen, das Brot, unser Leib und Genuss,
das Brot des Zusammenlebens, der ärmliche Überfluss.
Das Brot, das wir essen müssen, das Brot, das dem Leben dient,
wir teilen es miteinander, solange wir Menschen sind.
Du teilst es mit uns, und so teilst
Du selber für alle Zeit, ein Gott von Fleisch und von Blut du,
ein Mensch, dem wir ewig geweiht.

VII
Ein Gott von Fleisch und Blut du, ein Mensch, dem wir ewig geweiht. Das ist österliches Christsein. Diese Weihe zu leben, ist oft nicht einfach. Es gibt so viele Widerstände. Gegen sie gilt es anzukämpfen. Das kann anstrengend sein. Papst Johannes XXIII. (mittlerweile heiliggesprochen, was er eigentlich gar nicht brauchte, weil er es ohnehin war), hatte dafür eine treffliche Regel, die wohl mit seiner Herkunft aus einer Bauernfamilie zu tun hatte. Sie lautet: Wo die Pferde versagen, schaffen es die Esel.

Das will sagen: Nur in Geduld und Demut kommen wir dem nahe, was wesentlich ist. Das gilt für das Gotterkennen sowieso und für das Ostergeschehen erst recht.