Auch Jesu Glaube wächst

20. Sonntag A: Mt 15, 21-28

I
Ein König suchte den richtigen Mann für einen wichtigen Posten in seinem Reich. Kräftige und weise Männer meldeten sich bei ihm zuhauf. Er führte sie zu einer großen Tür mit einem riesigen Schloss daran, so groß, wie es keiner noch gesehen hatte. Der König erklärte: Hier seht ihr das größte und schwerste Schloss meines Reiches. Wer von euch ist in der Lage, es zu öffnen? Ein Teil der Männer schüttelte gleich den Kopf. Einige andere sahen sich das Schloss zwar näher an, gaben aber zu, sie könnten es nicht schaffen. Und die meisten schlossen sich dieser Meinung an. Einer aber ging an das Schloss heran, untersuchte es mit Blicken und Fingern, versuchte es auf die verschiedenste Weise zu bewegen und zog schließlich mit einem Ruck daran – und das Tor öffnete sich. Es war nur angelehnt gewesen. Es bedurfte nur des Mutes, beherzt zu handeln. Und der König sprach: Du wirst die Stelle am Hof erhalten. Denn du verlässt dich nicht nur auf das, was du siehst und hörst, sondern setzt alle Kräfte ein und wagst eine Probe.

II
Diese Geschichte weiß darum, dass einer zweierlei tun kann im Angesicht der verschlossenen Türen seines Lebens und der Rätsel, die ihm sein Dasein aufgibt: aufgeben – oder beherzt darauf zugehen und beharrlich daran rütteln, in der Hoffnung, das Verschlossene werde sich auftun, das Unüberbrückbare sich bewegen. Beharrlichkeit kann bekanntlich Wunder wirken. Das wissen wir aus Erfahrung. Aber wenige nur wissen, dass solche Beharrlichkeit auch mit unserem Glauben an Gott zu tun hat – und zwar viel, viel mehr, als wir erahnen.

Das mag uns fremd scheinen. Aber genau davon redet das heutige Evangelium. Mehr noch: es will uns ein Stück weit begreifen lassen, was Glauben überhaupt bedeutet. Und es verrät uns auch, dass selbst die ersten Christen das nicht einfach von selbst wussten. Genauso wenig wie wir. Sie mussten es erst lernen. Matthäus erzählt uns, wie das geschah.

III
Die junge Gemeinde der Christen schlug sich mit einer Frage herum, die uns Heutigen ganz fremd ist. Nämlich, ob auch die Heiden, also alle, die nicht der Geburt nach Juden waren und dem Glauben des Alten Testaments angehörten, auch gerettet würden, ob auch sie Gottes Heil erlangen. Das ganze Alte Testament – und auch Jesus – sind geprägt von der Vorstellung, dass Gott zuerst sein erwähltes Volk retten und dass dann das erlöste Volk Gottes den anderen das Heil bringen werde. Nun aber hat Israel den Heilbringer Gottes – Jesus – weitgehend abgelehnt und schließlich hinausgeworfen. Nur wenige glaubten seiner frohen Botschaft, obwohl Jesus alles tat für sein Volk. Diese wenigen waren die ersten Christinnen und Christen – und sie treibt die Frage um: Was wird nun aus dem Heilsplan Gottes werden, da sein eigenes Volk schon sein Angebot zurückweist. Was wird jetzt aus den Heiden? Und diese Frage war umso drängender, weil dazu etwas kam, womit die jungen Christen – ja auch Jesus selbst – nicht gerechnet hatten: dass nämlich Heiden von sich aus zu Jesus kommen, an ihn glauben und um seine Hilfe bitten. Das heutige Evangelium erzählt einen solchen Fall:

Eine heidnische Frau kommt zu Jesus und bittet ihn, ihr krankes Töchterchen zu heilen. Zuerst schweigt Jesus, dann verweist er auf seinen gottgegebenen Auftrag: nämlich das verstreute Volk Israel neu zu sammeln. Doch die Frau lässt nicht locker: Herr, hilf mir! Jesus antwortet ihr mit einem – in unseren Ohren geradezu skandalösen – Bildwort: Sowenig man das Brot den Kindern wegnehmen darf, um es den Hunden vorzuwerfen, sowenig darf ich einfach Gottes Plan überspringen und nach eigenen Gutdünken handeln. Aber die Frau gibt noch nicht auf. Sie ist aufrichtig und schlagfertig: Sie gibt Jesus recht. Aber sie greift sein Bildwort auf und führt es weiter zu ihren Gunsten: Schlagfertigkeit nennt man das. Und Jesus lässt sich von ihr buchstäblich überwältigen. Unvermittelt sagt er der Heidin: Frau, dein Glaube ist groß! Was du willst, soll geschehen.

IV
Das eigentlich Wunderbare an dieser Szene ist, dass sie uns Jesus als einen Lernenden zeigt – als einen, dessen eigenes Denken über und Glauben an Gott sich weiten und wachsen muss. Er, der selber mit dem Herzen sieht und in die Herzen schaut, er erkennt, wie unbedingt, wie voraussetzungslos diese Frau vertraut. Und er, der selber in voraussetzungslosem Vertrauen zu seinem Vater lebt und alle Begebenheiten seines Lebens als Anruf und Stimme seines himmlischen Vaters erlebt – er erfährt in dieser Begegnung mit der Heidin, dass sein Auftrag noch weiter reicht als ursprünglich gedacht. Er – und mit ihm die ersten Christinnen und Christen erfahren da, dass Tradition und Herkunft und Glaubensformen – so wichtig diese manchmal sein mögen, – dass all das zweitrangig wird, wenn das Herz eines Menschen mit seiner innersten Stimme zu reden beginnt. Wenn ein Mensch sich vorbehaltlos glaubend auf Gott wirft. Denn jeder Mensch steht letztendlich allein – ja einsam – und unmittelbar vor seinem Gott. Und da ist sein Ja, sein persönliches Ja oder Nein zu Gottes Einladung gefragt. Die Glaubensgemeinschaft, der einer angehört, das Glaubenbekenntnis, das eine spricht, die religiösen Formen, die das Leben eines Menschen prägen – sie alle sind wichtig. Aber sie sind nicht das Letzte. Das Letzte bleibt immer das Gottvertrauen.

Wenn einer glaubt, wird er sich solcher Formen und Stützen bedienen, die ihm seine Glaubensgemeinschaft bietet. Aber ohne Glauben helfen ihm all diese Dinge gar nichts. Da mag einer sich noch so kirchlich und noch so katholisch gebärden. Wenn all sein Tun nicht einem Herzen entspringt, das Gott vorbehaltlos, beharrlich, unermüdlich glaubt, wird all sein Frommsein ins Leere laufen. Und – machen wir uns nichts vor: Es gehörte schon zur Erfahrung der ersten Christinnen und Christen und es gehört zu unserer Erfahrung, dass solch herzenstiefer Gottesglaube nicht nur in der Kirche vorkommt, sondern auch außerhalb. Dass er uns bisweilen gerade da begegnet, wo wir ihn niemals vermutet hätten. Und dass er ausgerechnet dort fehlt, wo wir ihn zuerst erwartet hätten. Mir begegnet solch unüberwindlicher Glaube bei so Vielen, die formell nicht Christin oder Christ sind – bei Dichtern, Künstlern, Philosophen, Komponisten, gar nicht so selten auch bei Menschen, die sich als Atheisten bezeichnen. Und manch kirchlicher Amtsträger lebt das Gegenteil.

V
Martin Luther schrieb einmal über diese Begegnung zwischen Jesus und der heidnischen Frau: Das Wort Jesu musste für sie ein Donnerschlag sein, der beide, Herz und Glaube, auf tausend Stücke zerschlüge. Aber sie hält sich an das Wort – sie klammert sich daran – und vermag so unter und über dem Nein mit festem Glauben das heimliche Ja Gottes zu fassen.

Das ist es: Unter und über dem „Nein“ das heimliche „Ja“ Gottes fassen. Nicht nur in den Not- und Grenzfällen unseres Lebens – wenn eine heimtückische Krankheit das Kind hinwegrafft oder ein Unfall der Familie den Vater entreißt. Die Stunde der Wahrheit für die Unüberwindlichkeit unseres Glaubens schlägt bereits dort, wo es uns schwerfällt, Tag für Tag so etwas wie eine Gottesspur in unser Leben zu zeichnen. Oder direkt gesagt. Sie schlägt schon dort, wo es einfach schwer fällt zu beten.

Ob wir bloß beten, wenn wir Lust haben – oder auch dann, wenn wir wie gegen eine Wand reden und alles dunkel bleibt. Der Heiligen Teresa von Avila ging es zwölf Jahre lang so. Daran entscheidet sich, ob wir bloß nach dem Augenschein urteilen, wie die weisen Männer vorhin in der Geschichte, oder ob einer alles, was in seinen Kräften steht, probiert; wie der eine. Daran entscheidet sich im Letzten, ob jemand Christin und Christ ist oder es nur heißt. Am großen, unüberwindlichen Vertrauen und Anhangen an Gott – im Kleinen wie im Großen – scheidet sich der Schein von der Wahrheit. Solcher Glaube versteht sich nicht von selbst. Er muss wachsen. Aber auch Jesu Glaube hat wachsen müssen. Wir sind auf diesem Weg nicht allein.